Inhalte: Autonomie

Eizellspende – Aufhebung des Verbots?

Zwei Länder verbieten die Eizellspende in der EU: Deutschland und Luxemburg. In Deutschland wird  gerade wieder nachgedacht über eine Aufhebung des Verbots. Wie oft bei schwierigen Themen kann man gleich zu Anfang feststellen: es wird nicht die eine, gute und alles umgreifende Lösung geben. Aber die Debatte ist wichtig, und am Ende muss eine für alle akzeptable und rechtssichere Lösung stehen. Was also spricht für, was gegen das Verbot? Eizellspende – Aufhebung des Verbots?

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Ist Chat GPT intelligent? Geht Technik vor Ethik?

‘Ist ChatGPT intelligent’ und  ‘Geht Technik vor Ethik’? Grundlegende Fragen, die zu wenig gestellt werden. Große KI-Sprachmodelle wie ChatGPT,  vor wenigen Monaten nur Insidern bekannt,  gehören jetzt zum Alltag. Sie schreiben Texte und Programme, Privatbriefe, Hausarbeiten für Schüler und Studenten und inzwischen sind auch akustische und bildliche Eingaben möglich. Parallel zu den immer größer werdenden Möglichkeiten steigt ein allgemeines Unbehagen, auch treten mögliche Bedrohungen in unser Bewusstsein. Die Angst vor Sicherheitsrisiken und vielfältigem Missbrauchspotenzial ist überall präsent. Die Technik galoppiert, die Beschäftigung mit ihren Risiken versucht Schritt zu halten. Wir wissen kaum etwas und benutzen blind. Mit einer am 20. März 2023 veröffentlichten Stellungnahme hat der Deutsche Ethikrat etwas Licht auf “Mensch und Maschine” geworfen.

Was ist denn so neu an dieser KI?

Wir haben uns längst daran gewöhnt, dass mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz große Datenmengen verarbeitet werden können und dass das auf allen Gebieten, auch in der Medizin, sehr hilfreich ist. Jetzt aber treten Systeme auf, die als “smart” bezeichnet werden, die uns nicht nur den Eindruck selbständiger Entscheidungen erwecken, sondern uns  ganz persönlich und sogar emotional  anzusprechen scheinen. Spätestens an dieser Stelle kommt es zu einer neuen gefühlten Bedrohung: gab es bisher nur Bedenken wegen missbräuchlicher Anwendung, beispielsweise von Schadsoftware, phishing mails und Sicherheitsbedrohungen, geht es jetzt um Ängste, die uns in unserer Existenz betreffen, eine Bedrohung durch ein Etwas, welches uns gleichwertig oder überlegen wäre und uns ersetzen würde.

Gesetzgebung für KI?

Weltweit gibt es Bestrebungen, Gefahren einzuhegen, die klar definierbare Gebiete betreffen. So stellen sich Probleme von Haftung, wenn KI immer unabhängiger von Menschen agieren würde. Wer wäre anzuklagen und müsste Entschädigungen bezahlen?  Praktische Fragen. die zu regeln sind, aber immer zurückweisen auf die Grundsatzfragen: sprechen wir von tools, von Maschinen, wenn wir KI meinen?  Oder kann ein technisches System wie KI eine eigene Rechtspersönlichkeit haben? Hilft oder schadet uns KI mehr?  Beides! Sie hilft: wir können Arbeiten delegieren. Sie schadet: sie stellt unsere Urheberschaft infrage. Eine Gesetzgebung der Handhabung zu finden ist nachvollziehbar ungeheuer schwierig. Mit diesen Fragen setzen sich Techniker und Juristen auseinander; es geht aber um weit mehr. Zunächst fällt auf, dass wir im Zusammenhang mit KI Begriffe benutzen, die wir dringend genauer definieren müssten.

Was ist Intelligenz?

Unser Begriff KI erweckt den Eindruck, es handele sich um unsere Intelligenz, die aber künstlich hergestellt sei. Ist das so? Zur menschlichen Intelligenz gehören – selbst wenn man die sogenannte emotionale Intelligenz weglässt – verschiedenste Faktoren, die nicht nur die Fähigkeit zu logischen Schlüssen umfassen, beispielsweise räumliches Vorstellungsvermögen und assoziatives Gedächtnis. Rationales Denken und entsprechendes Schlussfolgern gehören ebenso dazu wie danach ein zielgerichtetes Handeln; unser Verstehen von menschlicher Intelligenz umfasst theoretische und praktische Vernunft. Diese kann nicht von unserem Leib abgekoppelt werden (vereinfacht: ein isoliertes menschliches Gehirn in einer Nährflüssigkeit kann nicht denken und handeln. ICH bin nicht in einem isolierten Gehirn.)  So kommt der Deutsche Ethikrat in seiner Stellungnahme zu dem Schluss, dass es gravierende Unterschiede gibt: auch wenn sich in der Arbeitsweise von KI Parallelen zur theoretischen Vernunft aufzeigen lassen, verfügen “…die bislang verfügbaren KI- Systeme nicht über die dafür relevanten Fähigkeiten des Sinnverstehens, der Intentionalität und der Referenz auf eine außersprachliche Wirklichkeit”. In leichter Sprache: KI – Systeme können nicht denken und verstehen.

Ist ChatGPT intelligent – ohne Vernunft? Handlung? Absicht?

Noch mehr gilt das für die praktische  Vernunft, die mit einem weiteren Begriff verbunden ist: dem der Handlung. Handlung ist nicht alles, was wir tun, sondern nur ein Tun, welches zweckgerichtet, beabsichtigt und kontrolliert ist. Wenn also eine Maschine nicht die Absicht hat, etwas zu tun, können wir ihr nicht zuschreiben, dass sie handelt. Zum Begriff der Absicht gehört unsere Vorstellung von einer Person, die handelt und dann auch moralisch und rechtlich dafür verantwortlich ist. Handlungsurheberschaft ist die Grundlage für das, was wir als Autonomie bezeichnen. Wir Menschen können uns selbst Gesetze geben und unsere Handlungen danach ausrichten. Wenn also technische Systeme jeder Art absichtlich und verantwortungsfähig handeln könnten, müssten wir sie folgerichtig als Person betrachten.

Anthropomorphisierung vermeiden

Je mehr uns klar wird, dass es sich bei KI nicht um eine menschliche Intelligenz handelt, sondern um etwas gänzlich Anderes, umso mehr sollten wir zu dem Schluss kommen, dass wir sprachlich die Vermenschlichung der technischen Systeme vermeiden und neue Begriffe suchen sollten. Dass in den heute stattfindenden öffentlichen Diskursen KI nicht von menschlicher Intelligenz unterschieden wird, hat Folgen. Wenn wir sagen, dass technische  Systeme lernen, denken und entscheiden, sprechen wir von etwas, was Philosophie und Psychologie jahrhundertelang  durchdacht haben und was für uns  zu einem Begriff mit automatischen Vorannahmen und Assoziationen wurde. Wir müssen uns klarer darüber werden, dass unsere Begriffe bei KI gar nicht mehr zutreffen und daraus Schlüsse ziehen. Wenn nicht mehr zu jedem Zeitpunkt  ganz deutlich wird, dass der Begriff Intelligenz in Bezug auf technische Systeme nur metaphorisch ist, müssen wir neue Begriffe finden, sonst täuschen wir uns dauerhaft selbst. KI ist keine menschliche Superintelligenz, sie ist eine andere Intelligenz.

Gefahr durch Automation Bias

Hier genau ist nämlich der Punkt, wo die Nutzung schon der bisherigen KI-Systeme gefährlich sein könnte: als Automation Bias wird die ungeprüfte Übernahme algorithmisch vorgeschlagener Ergebnisse bezeichnet; diese entsteht dadurch, dass wir den algorithmisch erzeugten Ergebnissen mehr vertrauen als unseren (auf begrenzteren Daten beruhenden) Erkenntnissen. Praktisches Beispiel aus der Medizin: wenn wir durch KI erstellte Wahrscheinlichkeitsdiagnosen bei Hautkrebs einfach übernehmen. Solange wir davon ausgehen, dass KI unserer Intelligenz entspricht, freuen wir uns unter Umständen immer mehr nicht nur an schnell bereit gestellten Daten, sondern übernehmen ‘Entscheidungen‘, da wir unbewusst diesen künstlichen Akteuren auch Vernunft und Verantwortung zuschreiben. Es liegt an uns selbst, KI -Systeme weiterhin strikt als Entscheidungsunterstützer, nicht aber als Entscheider zu sehen. Sonst höhlen wir selbst unser eigenes System von Urheberschaft, Autorschaft und Verantwortlichkeit aus, ganz unabhängig von rechtlichen Gegebenheiten.

Wird “Starke KI” Wirklichkeit?

Dabei gelten all diese Überlegungen schon für die KI von heute; technisch sowie philosophisch ist man weiter darüber uneins, ob die sogenannte Starke oder Generelle Künstliche Intelligenz wirklich realisiert werden kann. Der Historiker Yuval Noah Harari sagte kürzlich in einem Vortrag, man solle den Begriff Artificial Intelligence durch Alien Intelligence ersetzen, da artificial (= künstlich)  ja meine, dass etwas durch uns erschaffen wurde, was aber nicht mehr gelte. Das trifft für die jetzige Situation wohl (noch?) nicht ganz zu, fest steht aber, dass unsere früher klare Grenzlinie zwischen Mensch und Technik immer mehr verschwimmt.  KI  ist anders  ‘intelligent’.

ChatGPT als Moralische Maschine?

Oliver Bendel bezeichnet ChatGPT erstmalig als moral machine im Sinne der Maschinenethik. Das heisst nicht, ein technisches System bilde sich ein eigenes Urteil darüber, was moralisch richtig oder falsch ist;  es reproduziert nur menschliche Urteile. Wie KI  ist maschinelle Moral nur ein terminus technicus, ein Begriff. Gemeint ist ein System, welches nicht selbst gut  oder böse istsondern menschliche Moral simuliert, indem es moralische Regeln befolgt. Das technische System ist nicht neutral.  Es lernt auf Basis vorhandener Daten, bei ChatGPT von Sprache, die Menschen geschaffen haben, und damit kann es Stereotypen benutzen und Ungerechtigkeiten verewigen. Grundlegende ethische Fragen werden hier an vielen Stellen berührt, beispielhaft hier zwei:

  • im  Vorfeld, wo das System mit menschlichen Moralen trainiert wird. GPT heißt Generative Pre-trained Transformer; am Anfang steht also Training durch Menschen. Sozusagen in Handarbeit wurden dabei Inhalte gesichtet, um unerwünschte auszusortieren. Es ist bekannt, dass diese psychisch ungeheuer belastende Tätigkeit (die beispielsweise ständige Konfrontation mit Gewaltdarstellungen, Vergewaltigungen usw. beinhaltete), von billigeren Arbeitskräften im globalen Süden geleistet wurde.
  • in der anhaltenden Testphase. Da eine spezielle Form des maschinellen Lernens benutzt wird (Reinforcement Learning from Human Feedback, RLHF), trainieren Benutzer durch ihre Rückmeldungen, in denen sie Antworten als richtig und gut ansehen, das System immer weiter. Insofern sind Systeme wie ChatGPT durch die Benutzer veränderbar. Diese können sie besser machen oder gezielt dahingehend beeinflussen, dass sie für Desinformation und Manipulation missbraucht werden können.

Erstes Ziel: Transparenz

Die Frage, ob Einsetzen von KI moralisch vertretbar ist, kommt jedenfalls zu spät; KI ist auf vielen Ebenen längst implementiert, ohne dass es uns überhaupt bewusst ist. Wir müssen aber alle  Anstrengungen für eine effektive und machbare Handhabung unternehmen mit dem Ziel, dass KI zum Wohl der Allgemeinheit eingesetzt wird; dabei sind Gesichtspunkte der Entwickler zu hinterfragen, bei denen Ökonomisches oft im Vordergrund stehen. Auch müssen Menschen, die technische Systeme gezielt für Desinformation einsetzen, zur Rechenschaft gezogen werden.

Darüber hinaus müssen wir zwischen Euphorie und apokalyptischem Denken einen Mittelweg finden, eine verantwortliche Haltung. An erster Stelle ist Transparenz für alle Beteiligten und Betroffenen erforderlich, dazu der erste unabdingbare Schritt: Quellenangaben, damit jeder Einzelne veröffentlichte Inhalte auf Zuverlässigkeit überprüfen kann. Bei dieser Gelegenheit sollten wir uns selbst hinterfragen: agieren wir nicht oft selbst wie Chatbots, wenn wir ungeprüft irgendwo gelesene oder gehörte Informationen einfach weitergeben? Es ist erfreulich, dass der European AI Act, dem das EU-Parlament gerade zustimmte, auch verschiedene Riskogruppen definiert. Medizin gehört sicher zum Hochrisikobereich. Das komplexe Thema angedeutet in einem Satz: KI kann uns rasch große Datenmengen für eine sicherere Beurteilung zur Verfügung stellen, aber weder Ärzt:innen Entscheidungen abnehmen noch korrekt mit der Aufklärung und Entscheidungsfindung von Patient:innen umgehen. Ähnlich wie KI sicher nach rascher Paragrafensichtung schneller ein korrektes Strafmaß nach Gesetzesvorgaben finden, aber nicht über Menschen richten  kann.

 

Literaturtipps

Deutscher Ethikrat: Stellungnahme Mensch und Maschine

Catrin Misselhorn: Grundfragen der Maschinenethik

Katharina Zweig: Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl

Oliver Bendel:450 Keywords Digitalisierung

Und schließlich kann man heute auch schon einen diesbezüglichen von KI  (ChatGPT)  erstellten Text mit korrekt angegebenem ‘Autor ChatGPT’ erwerben und lesen. Spannend wären hier Rezensionen von Philosoph:innen.

ChatGPT (Autor): Die ethischen Herausforderungen im Umgang  mit ChatGPT: eine platonische Betrachtung

 

Dank für Bild an Julius H. auf pixabay

Futility – vergebliche Medizin?

“Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden; was dieser heute baut, reißt jener morgen ein…” schreibt im 17. Jahrhundert der Barockdichter Andreas Gryphius, und das liest sich genauso wie die Texte des Propheten Salomo aus dem Alten Testament über die VANITAS, die Vergeblichkeit: “Alles ist Eitelkeit”. Bei Salomo und im Barock ging es um die Vergänglichkeit des Irdischen und den Glauben, dass sowieso das Glück des Menschen erst im Jenseits zu finden sei. Im Barock erlebten die Menschen die Pestepidemie und den dreißigjährigen Krieg, im 20.Jahrhundert tobte der erste Weltkrieg und Paul Cezanne malte wieder das Vanitas – Motiv in seinem Stilleben mit Totenschädeln. Heute sagt man nicht mehr “Eitelkeit” in dieser Bedeutung, und auch ‘Vergeblichkeit’ wird im Deutschen selten benutzt. Man spricht eher von erfolglos, sinnlos, nicht lohnend, “ohne Sinn und Zweck”. In der Medizin hat sich zudem ‘frustran’ und ‘futile’ etabliert. Gibt es  futility – vergebliche Medizin?

Futility – vergebliche Medizin?

Dabei ist die Bedeutung von ‘frustran’ noch ziemlich klar und einfach. Ein  Wiederbelebungsversuch war dann frustran, wenn er nicht zum Erfolg führte. Es kann viele frustrane Versuche einer künstlichen Befruchtung geben, die zu immer mehr Wiederholungen führen. Hier sieht man schon, dass es einen großen Spielraum des Ermessens gibt. Will  sich ein Paar bei einer unter zehn Prozent liegenden Erfolgsaussicht einem so zermürbenden Prozess weiter aussetzen? Kann das trotzdem ‘sinvoll’ sein, also eben nicht ‘vergeblich’ in der Bedeutung von ‘sinnlos’?

Aber sonst? Kann ärztliche Bemühung um das Leben von Patient:innen überhaupt so verstanden werden? Ohne Sinn und Zweck sein, verlorene Liebesmüh? Der Begriff  ‘futile’ umfasst all dieses. “Die Natur macht nichts vergeblich” steht bei Aristoteles; aber ist das die ‘Natur’, die mit allen technischen Mitteln auf einer Intensivstation Lebensverlängerung anstrebt? Mit der langsam zuehmenden Erkenntnis, dass diese Lebensverlängerung auch  nur Leidensverlängerung bedeuten kann, begannen die Fragen bereits vor Jahrzehnten; 2021 rief dann die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften  SAMW zu einer breiten Diskussion über dieses Themas auf. Gleichzeitig erschien ein Positionspapier in Deutschland, welches die Frage der “Überversorgung” in der Intensivmedizin thematisiert: wie sei diese zu erkennen, zu benennen, zu vermeiden?

Übertherapie und Überversorgung

Unter Übertherapie werden medizinische Behandlungen verstanden, die für eine Heilung  keinen Zusatznutzen erbringen, aber auch nicht für die Linderung von Symptomen. Diese also unnötigen Maßnahmen sind dazu nicht risikofrei,  bedeuten daher nicht nur unnötige Kosten, sondern auch Schädigungen bis hin zu Todesfällen.

„Überversorgung“ dagegen ist der weitere Begriff aus der Gesundheitswissenschaft, dieser beinhaltet keine möglicherweise schädigenden, sondern unnötige und unwirtschaftliche Behandlungen. Dabei können viele andere Faktoren Einfluss haben:  gesellschaftliche Wertvorstellungen, Versorgungsstrukturen im Gesundheitswesen, medizintechnische Entwicklungen, rechtliche Regelungen, kommerzielle Interessen sowie die individuelle Arzt – Patienten-Beziehung; dazu kommen  die  oft  ganz falschen Vorstellungen und Erwartungen von Patient:innen und Angehörigen sowie Bevollmächtigten in Bezug auf die Intensivmedizin.

“Alles tun”?

Offensichtlich ist “alles tun” nicht unbedingt gleichzusetzen mit guter Gesundheitsverorgung. Natürlich soll man “alles” für mich oder meine Angehörigen tun! Angesichts aber der immer weiter wachsenden technischen Möglichkeiten einer “Lebensverlängerung”, die etwas verlängert, was für mich vielleicht nicht mehr “Leben” bedeutet, ohne Aussicht auf eine Besserung des Zustandes oder sogar Heilung, geht es doch eher darum, individuell eine Behandlung festzulegen, die meinem Willen  bestmöglich entspricht. Das ist am einfachsten, wenn eine Patientenverfügung vorliegt, die klar und eindeutig formuliert ist und auf die Situation zutrifft. Oft ist am Anfang bei einer Krankenhauseinweisung ja noch gar nicht klar, wie der Verlauf der Krankheit sein wird, und genau darum wird natürlich zunächst “alles” getan. Aber es kann der Punkt kommen, wo das medizinische Team absieht, dass “Futility” eingetreten ist. Dann muss entschieden werden, ab wann auf den Einsatz medizinischer Maßnahmen verzichtet werden sollte. Das nennt man ‘Änderung des Therapieziels’.

Gemeinsame Entscheidung

Eine Verpflichtung zur Behandlung besteht nur in Notfallsituationen. In jedem anderen Fall muss das medizinische Team zu Vorschlägen über medizinisch indizierte Maßnahmen kommen, über die dann mit den Patient:innen gemeinsam entschieden wird.  Dennoch wird dieser gemeinsame Entscheidungsprozess oft von Seiten der Ärzt:innen immer weiter verschoben. Dafür gibt es viele Gründe: Das Medizinstudium bildet zum “Retten” aus, die Grenzen der Medizin werden weniger aufgezeigt als ihre immer weiter steigenden Möglichkeiten. –  Nicht-Handeln wird als Versagen empfunden, als Verlieren in einem Kampf,  – ‘Weitermachen’ ist einfacher als die bewusste Konfrontation mit den Erwartungshaltungen und dem Druck von Patient:innen und Angehörigen. – Nicht zuletzt muss ein systemischer Druck erwähnt werden, ökonomische Gesichtspunkte in einem Krankenhaus, welches eine bestimmte Zahl von diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen erreichen will.

Was sagt das Recht?

Bei immer weiter zunehmenden rechtlichen Regulierungen, die viele Grauzonen übrig lassen, fühlen sich Ärzt:innen zudem häufig in der Defensive und fürchten Klagen und rechtliche Folgen. Dabei ist heute ganz klar: wenn sich Ärzt:innen und Patient:innen oder deren Vertreter:innen über eine diagnostische oder therapeutische Maßnahme einig sind, dann bestehen aus rechtlicher Sicht keine Probleme!

Futility in der Medizin

Die große Frage ist also: wann besteht futility? Nachdem trotz jahrzehntelanger Diskussion schon seit den 70er Jahren der Begriff weiterhin nicht ganz klar war, hat  2022 die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer eine hilfreiche Positionierung veröffentlicht, in der zwei Stufen von futility unterschieden werden: bei der einen kann die medizinische Maßnahme mit hundert Prozent Sicherheit nicht zum Erfolg führen. Es ist für jeden einsichtig, dass eine so sinnlose Maßnahme überhaupt nicht angeboten werden darf. Solche Situationen sind aber sehr selten. Die häufigen Probleme liegen in der zweiten Gruppe: es gibt viele medizinische Maßnahmen, die nach heutigem Wissen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu einem Therapieerfolg führen. Es wird klar, dass hier eine Abwägung von Nutzen und Schaden individuell für alle Patient:innen stattfinden muss und dass es daher keine allgemein gültigen Regeln geben kann.

Wohl oder Wille?

Die Abwägung muss sich auf das individuelle Patientenwohl beziehen, und dieses “Wohl” definieren heute nach dem Gesetz nicht die Ärzt:innen, sondern nur die Patient:innen selbst. Der Patientenwille ist also das oberste Kriterium; es ist einfach zu hoffen, dass alle Menschen diesen Willen für sich selbst bestimmen und schriftlich niederlegen, diesen vor allem aber mit Vertrauenspersonen besprechen, für die sie dann frühzeitig eine Vorsorgevollmacht erstellen.

Medizinische und ärztliche Indikation

Wenn eine Maßnahme im Hinblick auf ein Weiterleben mit einer für die Patient:innen akzeptablen Lebensqualität ‘futile’, also aussichtslos ist, somit das medizinische Therapieziel geändert werden soll, heißt das aber nicht, dass ‘aufgehört, nichts mehr getan’ wird. Es heißt, dass von diesem Punkt an die Palliativmedizin übernehmen sollte. Denn selbstverständlich bleibt ‘Hilfe’ für die Patient:innen als oberstes ärztliches Ziel bestehen. Eine der wichtigsten Aufgaben dürfte also sein, den Patient:innen oder ihren Vertreter:innen in dieser Situation den Unterschied zwischen medizinischer und ärztlicher Indikation aufzuzeigen und so zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen.

Nicht ‘keine Medizin’, sondern Palliativmedizin

Diese andere Therapie wird von der Palliativmedizin geleistet. Auf der site der Universitätsklinik Jena findet sich  eine schöne Beschreibung: “Palliativmedizin ist die aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer fortschreitenden Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung […]. Palliativmedizin bejaht das Leben und akzeptiert das Sterben als normalen Prozess. Sie will den Tod weder beschleunigen noch hinauszögern. Ziel in der Palliativmedizin ist der Erhalt der bestmöglichen Lebensqualität bis zum Tod. Die Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Krankheitsbeschwerden, psychischen, sozialen und spirituellen Problemen treten in den Vordergrund. Palliativmedizin ist interdisziplinär und multiprofessionell, d.h. die verschiedenen Berufsgruppen und Fachrichtungen in der medizinischen Versorgung arbeiten im Team miteinander.” Palliativmedizin umfasst die Behandlung und Betreuung nicht nur von von Patient:innen, sondern auch von deren Angehörigen.

Ärztliche und pflegerische Maßnahmen sind nicht vergeblich

Futility in der Medizin gibt es also so gesehen nicht: eine medizinische Maßnahme kann futile im Sinne von ‘nicht mehr nützlich’ im Hinblick auf Besserung und Heilung sein –  die ärztliche Maßnahme, Patient:innen Schmerzen oder Luftnot zu erleichtern, ist niemals futile im Sinne von ‘vergeblich’. Und da Patient:innen über die Maßnahmen entscheiden müssen, wäre es gut, wenn alle ihren Willen bilden und schon in jungen Jahren eine entsprechende Vorsorgevollmacht unterzeichnen.

 

Pflegerobotik Update

Vor zwei und vor vier Jahren habe ich mich hier mit Robotern im Zusammenhang mit Pflege, zuletzt besonders mit “Gefühlen” bei Robotern beschäftigt. Zeit für ein Update. Was hat sich geändert? Gibt es inzwischen DEN Durchbruch? Um es gleich zu sagen: nein. Auch wenn es vor allem technisch sehr viel Fortschritt gegeben hat.

Assistenzroboter oder sozioemotionale Roboter

Weiterhin gilt diese Einteilung. “Assistenz”- oder “Service”- Roboter arbeiten selbständig, das gilt sowohl für Industrieroboter wie den Saugroboter im Haushalt. Sozioemotionale oder auch “Begleit”- Roboter, z.B. Pepper, Paro und deren Nachfolger können in der Beschäftigung von Menschen eingesetzt werden. Das Problem für den Einsatz in der Pflege liegt darin, dass es diese beiden Leistungen nicht gleichzeitig gibt. Assistenzrobotik kann die Pflege selbstverständlich entlasten, als Pflegerobotik kann man sie aber ebenso wenig bezeichnen wie zum Beispiel einfache Transportsysteme. Sie kann lediglich Zeit und Kraft einsparen helfen. Das ist wichtig, aber keine “Pflege”, zumindest keine selbständige. Der “Pflegenotstand” kann nicht durch Roboter beendet werden.

Fachpflege, was ist das eigentlich?

Bei pflegerischem genauso wie ärztlichem Handeln ging es eigentlich immer um Für – Sorge, was nicht gleichbedeutend mit Ver – Sorgen ist. Die Wurzeln liegen in Tätigkeit als Hilfe und Sorge, care, caritas,  aber es gibt einen Professionalisierungsprozess, der immer weiter fortschreitet. In beiden Fällen ist eine langjährige Ausbildung nötig. Im Pflegeberufegesetz werden die Tätigkeiten aufgelistet, die examinierten Pflegekräften vorbehalten sind. Dazu gehören Organisation, Gestaltung, Sicherung und Entwicklung der Qualität in der Pflege, vor allem aber die “Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs”. Das zeigt klar, dass Fachpflege heute auf eigenen Konzepten beruht, entwickelt und begründet vom Fach “Pflegewissenschaft” und dass es sich keinesfalls nur um Ausführung ärztlicher Anordnungen handelt. Warum ist das wichtig?

Pflegeplan ist individuell

Ein guter Pflegeplan kann nicht standardisiert nach Diagnosen aufgestellt werden, sondern nach der Beobachtung und Expertise durch eine Fachpflegekraft. Die Pflegewissenschaftlerin Professorin Martina Hassler wies bei einem kürzlichen Vortrag beispielhaft darauf hin, dass die Pflegeperson während des Transportes eines Patienten viel wahrnimmt; sie registriert den Augenkontakt, erfährt viel über Orientierung und den neurologisch-psychischen Status. Dieser Hinweis zeigt besser als jede theoretische Diskussion, wie ganz falsch es sein  würde, wenn wirklich Patienten in der Klinik nur noch von voll automatisierten Systemen beispielsweise zur Röntgenabteilung gefahren werden würden.

Handlungskompetenz als Ziel

Das letztliche Ziel der Fachausbildung ist Handlungskompetenz, nach der Definition der Kultusministerkonferenz 2018  „die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten“. Spätestens hier wird klar, dass Roboter nicht Fachpflege ersetzen können. Roboter “denken” nicht, “entscheiden” nicht und “handeln” nicht. Wir werden völlig neue Begriffe brauchen und sicher diese uns bekannten vielleicht neu überdenken und  im Zusammenhang mit  Künstlicher Intelligenz (KI) neu bewerten müssen. Handlungen und Entscheidungen jedenfalls haben immer mit Verantwortung zu tun, und diese ist dadurch charakterisiert, dass sie einklagbar ist.

Der ethische Aspekt

Wichtig ist ferner der Aspekt  ethischer Verantwortung. Es wird die Achtung der Menschenrechte, einschließlich kultureller Rechte, des Rechts auf Leben und Entscheidungsfreiheit auf Würde und auf respektvolle Behandlung als untrennbar von der Pflege bezeichnet. Pflege wird “mit Respekt und ohne Wertung des Alters, der Hautfarbe, des Glaubens, der Kultur, einer Behinderung oder Krankheit, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Nationalität, der politischen Einstellung, der ethnischen Zugehörigkeit oder des sozialen Status ausgeübt”. Auch hier ergeben sich viele Fragen für den Einsatz von “selbständigen” Robotern.

Wie weit ist das  Recht

2019 hatte die “High-Level Expert Group on AI” im Anschluss an eine Pilotphase mit weitreichender Diskussion einen Vorschlag für Leitlinien einer vertrauenswürdigen KI gemacht. 2020 wurde eine “Final Assessment list for trustworthy AI” vorgestellt, auf die Entwickler zurückgreifen sollten. 2021 gab es von Seiten der EU- Kommission Entwürfe für Regeln, den Umgang mit künstlicher Intelligenz betreffend. Danach soll eine vertrauenswürdige KI neben allen geltenden Gesetzen auch besondere Anforderungen erfüllen: sie soll die menschliche Entscheidungsfreiheit und Autonomie unterstützen, nicht beeinträchtigen und einschränken. Die zugrundeliegenden Algorithmen müssten konsistent, fehlerfrei und robust arbeiten. Entscheidungen der KI müssten nachvollziehbar und es müsste eindeutig sein, wer für sie verantwortlich ist. Menschen sollten die Kontrolle über ihre Daten behalten und dürften durch die Datenverarbeitung der KI nicht geschädigt oder diskriminiert werden.

Robotergesetze von 1942

Wenn man das liest, sieht man im Grunde die schon 1942 formulierten “Robotergesetze” von Isaac Asimov: Ein Roboter darf kein menschliches Wesen verletzen oder durch Untätigkeit zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird. – Ein Roboter muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen, es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins kollidieren.- Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel eins oder zwei kollidiert. Nichts Neues also? Das wäre vereinfacht. Es ist erfreulich, dass der weltweite Diskurs seit Jahren gefördert wurde. Bis allerdings wirklich EU-Regeln vorliegen, werden weitere Jahre vergehen, da der demokratische Prozess erfordert, dass Vorschläge der EU-Kommission anschließend durch die EU-Staaten und das Europaparlament verhandelt werden müssen. Bis zu einem solchen Punkt ist jedenfalls für den Kontext “Pflege” festzuhalten, dass Roboter niemals allein am Patienten bleiben dürfen, was allein schon aus Sicherheitsaspekten ausgeschlossen sein muss.

Was heißt das für die Pflege?

Der Deutsche Ethikrat hatte 2020 in seiner Stellungnahme gesagt, dass er einen möglichen Nutzen der Robotik für den Pflegebereich anerkenne, diesen aber nicht in der Beseitigung von Personalengpässen oder des Pflegenotstandes sehe, sondern im Sinne der Unterstützung und Förderung guter Pflege. Voraussetzung sei in jedem Falle, dass Roboter nicht als Ersatz zwischenmenschlicher Beziehungen betrachtet werden im Sinne einer bloßen Effizienzmaximierung, ferner, dass sie nie gegen den Willen von Gepflegten und Pflegenden eingesetzt werden dürften und dass alle Betroffenen in die Entwicklung der Technik einbezogen werden. Dem ist eigentlich nichts  hinzuzufügen, aber man kann heute erfreut feststellen, dass die Diskussion jetzt in eben diese Richtung geht.

Zusammenarbeit von Pflege und Technik

Es werden gemeinsame differenziertere Ziele von Pflegewissenschaft und Technik formuliert. Dabei ergeben sich auch neue Fragen: zum Beispiel bestehen andere Anforderungen für Pflege in der Klinik und für solche zu Hause. Das Gute der technischen Seite  ist, dass sie Roboter anpassen kann; das muss aber im Hinblick auf die jeweilige Anforderung erfolgen und setzt im Vorfeld eine konstruktive Arbeit mit Pflegenden, Patienten und Angehörigen voraus, in der Klinik ferner mit Pflegedienstleitern und Organisationsstrukturen. Ein weites Feld! Zudem scheint auch ein neues Problem auf: wird die Einführung von mehr Technik nicht auch in der Pflege selbst mehr Standardisierungsdruck machen, weil die Individualisierung auch bei Robotern technisch und finanziell an ihre Grenzen stoßen wird?

Fazit

  • Die je nach Standpunkt und Interessen Hoffnung oder Angst, dass Roboter Fachpflegekräfte ersetzen können, scheint immer unbegründeter.
  • Im Augenblick ist jeder Roboter noch selbst sehr “pflegebedürftig”,  er braucht noch mehr die Menschen als die Menschen ihn.
  • Die in der Werbung oft dargestellte Kombination von Serviceroboter und sozioemotionalem Roboter ist nicht erreicht und im Augenblick gar nicht vorstellbar.
  • Der Technikfortschritt ist deutlich. Er bedeutet allerdings auch, dass nicht weniger, sondern mehr und vor allem besonders qualifizierte Pflegefachkräfte erforderlich sind.
  • Eine Zukunft in der Pflegerobotik liegt im individuellen Anpassen an die Bedürfnisse der Menschen. Dazu ist nicht nur viel mehr interdisziplinäre Forschung erforderlich, sondern auch praktische Zusammenarbeit von Entwicklern und Pflegefachkräften vor dem Einsatz eines  Roboters im Einzelfall.

 

Literaturtipps

 

Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit: Digitalisierung in der Pflege

Jannis Hergesell, Hrsg: Genese und Folgen der Pflegerobotik

Tina Drechsel, Julia Inthorn (Hrsg) 

 

 

Danke an Pete Linforth für Bild auf Pixabay

 

Digitale Medizin und e-health-Kompetenz

Zur “Digitalen Medizin” gehört alles von elektronisch bereitgestellten Informationen, “Big Data”, also großen Datenmengen, bis hin zur Künstlichen Intelligenz KI. An breit genutzten Technologien erwähne ich nur Telemedizin, Gesundheits – Apps, tragbare Überwachunungsgeräte, Einsatz von Robotik in Medizin und Pflege und virtuelle Realität. Digitalisierung kann Medizin schneller, besser, im Endeffekt auch ökonomischer machen.

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