“SUIZIDKAPSEL” ‘SARCO’ – Autonomes Sterben?
Die Nachricht: im Kanton Schaffhausen in der Schweiz ist eine 64-jährige US-Amerikanerin in einer neuen Sterbekapsel gestorben. Man liest “hat sich vorsätzlich das Leben genommen”, und es gibt jetzt viele Fragen. Ist das Sterben in der “Suizidkapsel” ‘Sarco’ assistierter Suizid mit nun perfektionierten neuen technischen Mitteln? Autonomes Sterben ohne störende Ärzte oder andere Mitmenschen? Die ultimative Freiheit? Oder eher eine ultimative Bankrotterklärung der Gesellschaft?
Suizidkapsel SARCO mit schönem Namen: Sarkophag
In einer Ausstellung in Köln ist gerade der 3000 Jahre alte Sarkophag des ägyptischen Pharao Ramses II. zu sehen. Sowohl in der altägyptischen wie der kretisch – minoischen Kultur fand Bestattung lange vor unserer Zeitrechnung in Särgen aus Stein und Holz statt, später im antiken Griechenland und Rom in solchen aus Marmor, wobei allen gemeinsam die kunstvolle Gestaltung ist. Steinsärge gab es auch im alten Christentum und Judentum; und immer waren die Sarkophage Mittelpunkt von Riten nicht nur bei der Bestattung, sondern auch bei sich immer wiederholendem Gedenken an die Verstorbenen, wobei je nach deren gesellschaftlicher Stellung die engere Familie, die Dorfgemeinde bis hin zu Vertretern des ganzen Landes zusammenkamen.
Das Neue
Das Neue bei diesem Sarkophag ist also nicht nur, dass der jetzt benutzte Behälter durch 3D Druck erstellt wurde und neue technische Möglichkeiten beinhaltet, sondern vor allem, dass hier Sterben bewusst in absoluter Einsamkeit stattfinden soll, während sonst überall beim assistierten Suizid Menschen eingebunden sind; bei jeder ‘Sterbehilfe’, auch bei der sogenannten ‘Aktiven Sterbehilfe’ – die ja ‘Tötung auf Verlangen’ ist und in Deutschland verboten, aber beispielsweise erlaubt in den Niederlanden – gibt es dort festgelegte Kriterien für die Ärzte, die die Umsetzung vornehmen dürfen.
Assistierter Suizid
Selbsttötung ist in Deutschland nicht strafbar, ebenso nicht strafbar ist Assistenz bei Selbsttötung. Assistenz ist zum Beispiel dann erforderlich, wenn eine den Tod herbeiführende Substanz nicht selbst besorgt werden kann, weshalb hier ein besonderer Fokus auf Ärzte gerichtet ist, obwohl auch Nichtärzte Assistenten sein dürften. – In der Schweiz ist Suizidassistenz lediglich bei selbstsüchtigen Motiven nicht erlaubt, als Beispiel wird angeführt Verleitung zum Suizid, wenn Erbangelegenheit im Raum steht.
Technische Fragen
Bei ‘SARCO’ soll nach Angaben der Hersteller der Tod durch Einlassen von Stickstoff herbeigeführt werden, welches der Sterbewillige allein in der Kapsel durch Knopfdruck auslöst. Die ungeklärten Fragen beziehen sich auf Zuständigkeit, Produktionssicherheit und Veranwortlichkeit. So erklärte sich Swissmedic, die Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Medizinprodukte, als nicht zuständig, da sie diese Kapsel nicht als Medizinprodukt ansehen konnte; zu einer solchen Anerkennung wären Prüfverfahren nötig gewesen, die hier nicht eingehalten wurden. Ausserdem hätte auch das Gas beurteilt werden müssen, bevor es hier zu einer sonst bisher nicht üblichen medizinischen Anwendung benutzt werden könnte,
Rechtliche Fragen
In Deutschland sind zwei Voraussetzungen bei Suizidassistenz wesentlich: die Freiverantwortlichkeit und die Tatherrschaft des Suizidenten. Genauere Vorgaben liegen weiterhin nicht vor, nachdem die letzten zwei Gesetzesentwürfe im Bundestag scheiterten.
Freiverantwortlichkeit bedeutet nach dem Bundesverfassungsgericht: Der Suizidwillige muss in der Lage sein, seinen Willen frei und unbeeinflusst zu bilden, was unter Anderem auch heißt, dass keine aktuelle psychische Störung vorliegen darf. Er muss über alle entscheidungrelevanten Gesichtspunkte informiert sein, der Wille darf nicht von außen beeinflusst worden und unter Druck entstanden sein, und der Entschluss muss fest und dauerhaft sein.
Tatherrschaft heißt, dass der Suizident die letztlich zum Tod führende Handlung selbst ausführt. Zum Beispiel kann die Assistenz ein todbringendes Medikament bereitstellen, es aber nicht verabreichen.
Da im ‘Sarco’ nur allein der Suizident Zugang zu dem die Stickstoffeinleitung auslösenden Knopf haben soll, wäre die Tatherrschaft gegeben. Anders sieht es mit der Voraussetzung der Freiverantwortlichkeit aus. Wie kann eine solche überprüfbar gewährleistet sein bei der hier angenommenen absoluten Freiheit eines Einzelnen, ohne nachweisbare Information, ohne Aufklärung und Beratung, ohne jede Einbindung von anderen Menschen?
Jedenfalls geht es nicht um die Methode. sondern um die Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit.
Ethische Fragen
Die ethische Fragen hier berühren ganz verschiedene grundsätzliche Themen.
Zunächst die Autonomie. Menschen sind autonom, das heißt selbstbestimmt; das scheint klar, es gibt aber viele Schattierungen. Nur ein Beispiel dafür, wie komplex “Autonomie” sein kann: der Arzt und Medizinethiker Klaus Gahl hat darauf hingewiesen, dass Patienten Behandlungen verweigern können; das könne aber nicht automatisch als Ausdruck von Selbstmordgedanken gewertet werden, sondern bedeute bei einem Teil der Menschen ein Ergeben in ein Schicksal, was besonders bei religiös bestimmten Menschen zu beobachten sei. Das heisst, dass wir uns ganz frei und ‘selbstbestimmt’ auch einer ‘Fremdbestimmung’ unterwerfen können. Dieser Vorgang ist im Alltag zu sehen, wenn Patienten zu ÄrztInnen sagen: tun Sie das, was Sie für richtig halten – oder auch, wenn wir einem uns nahestehenden Menschen für uns eine Vorsorgevollmacht ausstellen. Dieser Punkt hat etwas mit unserem Vertrauen zu tun: haben wir es oder nicht, und wenn nein, warum und wie könnte man es aufbauen?
Der ‘schöne Tod’ und die Wahrhaftigkeit
Ja, die Werbung klingt idyllisch – man liegt im Wald oder am Sehnsuchtsort Meer, mit Blick zum Himmel und geht friedlich ein in die Natur, schmerzfrei und in dem Moment, wo man es als freier Mensch beschließt – mich hat genau dies erschreckt. Ein solche Idealisierung von Tod oder, schlimmer, von Freitod, empfinde ich als ebenso verlogen wie auch sonst jede Werbung, aber hier bei diesem existenziellen Thema als erschreckend. Können und wollen wir uns nicht Wahrheiten stellen, haben wir soviel Sehnsucht nach Unwahrheiten?
Die Wahrheiten sind: Tod ist nichts ‘Schönes’. – Gesunde Menschen haben keine Todes-Sehnsucht. – Die meisten Menschen wollen nicht allein sterben. – Und: diese eine einsame Entscheidung ist unumkehrbar.
Ferner: die Existenz des sogenannten Bilanzsuizids wird in der Forschung weiter kontrovers diskutiert. Fakt ist: im höheren Lebensalter steigt die Suizidrate stark an. Und: im höheren Lebensalter steigt die Zahl der Depressionen stark an.
Tod an sich ist nicht Schönes und Erstrebenswertes, nur eine Gegebenheit, und der müssen wir als Einzelne und als Gesellschaft adäquat begegnen: Autonomie des Einzelnen achten und gleichzeitig Fürsorgepflicht der Gesellschaft erhalten und stärken.
Allein als Idealzustand?
Menschen leben heute immer häufiger allein – aber ‘allein’ suggeriert oft Falsches. Es bedeutet doch nicht, dass man isoliert auf einer Insel ein Robinson Crusoe ist. Man hat Nachbarn, kauft ein, hat irgendeine Kommunikation und sei es digital, macht Behördengänge, geht zum Arzt, wird mal ins Krankenhaus eingeliefert – ist man immer allein? Von allem abgekapselt zu leben ist nicht menschliche Normalität, also inhuman, und entsprechend inhuman ist es auch, allein in einer Kapsel (!) zu sterben.
Der Theologe M. Zimmermann äußerte in einem Interview zu ‘Sarco’, er habe sich erinnert gefühlt an eine kurze Zeit während der Coronapandemie, wo Verstorbene im Krankenhaus sofort in Plastiksäcken transportiert worden seien und Angehörige keinerlei Möglichkeit für Kontakt vorher und Verabschiedung hatten. Wir wissen, wie traumatisch sich dies auf die Angehörigen ausgewirkt hat,
Die Würde des Menschen
Das deutsche Grundgesetz spricht von der unantastbaren Würde des Menschen – auch wenn inzwischen totzitiert, gibt es keine bessere Formulierung. Aber wahrt nicht auch die Gesellschaft diese Würde jedes Einzelnen? “Niemand ist eine Insel”, schrieb John Donne. Die einseitige Betonung von Autonomie führt zu einem veränderten Menschenbild: einem Bild, welches keinerlei Gegebenheiten (unsere ‘Conditio Humana’) und Abhängigkeiten anerkennt und letztlich zu einer Auffassung führt, dass beispielsweise jedes Leben, welches auf Hilfe irgendwelcher Art angewiesen ist, kein ‘lebenswertes’ oder ‘sinnvolles’ Leben sei. In diesem Sinne meint wohl auch der Medizinethiker Giovanni Maio, dass die ‘Sterbekapsel’ eine Technisierung, aber nicht Humanisierung des Sterbens bedeutet. Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Wollen wir ein so verändertes Menschenbild?
Gesellschaftliche Konsequenzen
Die Folgen einer solchen Veränderung sind gar nicht abzusehen und wären jedenfalls bedeutend. So könnten zum Beispiel alle Bemühungen um den in Deutschland dringend nötigen Ausbau von Pflege und Palliativmedizin geschwächt werden. Der Denkprozess könnte so ablaufen: wenn jemand pflegebedürftig wird, ist das ja auch eine Folge seiner eigenen bewussten Entscheidungen! Wollen wir in letzter Konsequenz, dass das ‘Unwort des Jahres 1998’ “sozialverträgliches Frühableben” zum Kriterium wird?
Für mich geben dagegen gerade die Fortschritte der Palliativmedizin Hoffnung: nicht die Botschaft vermitteln “wir können alles heilen”, sondern “wir können Dir helfen, nicht zu leiden”.
Das eigene Menschenbild
Es geht hier also auch um unsere eigene Vorstellung von einem guten oder gelingenden Leben; und damit ist verbunden die Frage, ob es vernünftig ist, wirklich alles in dieser Lebensspanne von Geburt bis Tod aktiv zu planen und zu regulieren. Kann es vernünftiger sein, Einiges als unverfügbar zu belassen? Noch einmal ein Zitat von Maio: “Dem Sterben können wir in der Haltung des Machens einfach nicht adäquat begegnen”.
Jenseits von allem notwendigen technischen und rechtlichen Regelungsbedarf müssen wir also als Einzelne weiter denken und unsere Gesellschaft entsprechend für die Zukunft formen. Die Medienaufmerksamkeit, die das technische Gerät ‘Sarco’ bekam, ist eine Chance, die jetzt ergriffen werden sollte. Es bleibt viel zu denken und zu tun!
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