Suizid und Beihilfe zur Selbsttötung
Suizid oder Selbsttötung ist keine Straftat. Jeder darf über sein Leben verfügen, das sagt auch das Gesetz. Probleme entstehen immer wieder da, wo Menschen für diesen Schritt Hilfe benötigen. Meist werden dann Ärzte gefragt. Bei diesen gibt es völlig entgegengesetzte, auf beiden Seiten aber begründete persönliche Einstellungen.
Das Recht: die Vorgeschichte
Anfang 2020 kippte das Bundesverfassungsgericht das bis dahin bestehende Verbot der sogenannten geschäftsmäßigen Sterbehilfe, weil dieses das Recht auf selbstbestimmtes Sterben einschränke. Dieses Recht nämlich, so die Richter, schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und Hilfe von Anderen einzufordern. Es folgten neue Probleme, da als Helfer besonders die Ärzte gefragt waren, die aber einem Verbot durch die Berufsordnung gegenüberstanden. Zusätzlich beschloss der Bundesgesundheitsminister, Anträge von Suizidwilligen auf Bereitstellung eines tödlichen Medikaments abzulehnen. So kam es zu einem ganzen Jahr intensiver Diskussion, schließlich auch einer langen, sehr guten Bundestagsdebatte ohne Fraktionszwang, bei der mehrere Entwürfe als Vorschläge einer Regelung vorlagen. Mit Stand August 2021 ist jetzt allerdings nur eins klar: eine Neuregelung für Deutschland wird es nicht mehr in der alte Legislaturperiode geben.
Wenn man informiert sein will, sollte man zunächst den Beschluss des BVG sehr genau lesen. Hätten das alle getan, wären wohl manche plakative Schlagzeilen in Medien entfallen, die behaupteten, dass sich jetzt jede*r 18- Jährige bei Liebeskummer mit ärztlicher Hilfe töten dürfe. Das “Recht auf Selbsttötung“ , so ist beim BVG zu lesen, steht nur „zur freien Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähigen Menschen“ zu. Es gelten „dieselben Grundsätze wie bei einer Einwilligung in eine Heilbehandlung“ einschließlich von Beratung und Aufklärung. Der Suizidentschluss muss u.a. „unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung“ sein, darf aber auch nicht bloß Ausdruck einer „vorübergehende[n] Lebenskrise“ sein.
Selbstmord? Freitod? Suizid?
Beschäftigt man sich mit diesem schwierigen Thema, sollte man besonders auf die Begriffe achten. Zunächst ist scharfe Abgrenzung gegen “Tötung auf Verlangen” nötig, welche in Deutschland ja unverändert strafbar ist. Dann sollte man beachten, dass Selbsttötung oder Suizid ein wertfreier Begriff ist, der genau deshalb auch juristisch benutzt wird. Der “Selbstmord” beinhaltet eine Wertung, denn Mord ist ja ein Verbrechen. Auch “Freitod” hat ein begriffliches Problem in sich, denn nicht alle Suizide sind wirklich frei, also völlig selbstbestimmt. Das Gleiche gilt dann für die Beihilfe zum Suizid: hier sollte man Suizidassistenz benutzen oder eben auch “Beihilfe zum Suizid”. Es geht darum, dass ein voll selbstbestimmungsfähiger Mensch die „Tatherrschaft“ hat, und dass Helfer nur unterstützend wirken, z.B. indem sie das todbringende Medikament beschaffen. Formulierungen wie “Hilfe zum Suizid” oder “ärztlich unterstützter Suizid” sollte man aufgrund ihrer Unbestimmtheit vermeiden, juristisch machen sie “den Unterschied in der Tatherrschaft” nicht deutlich.
Die Berufsordnung der Ärzte
„Der Arzt darf keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“. Das stand bis Mai 2021 in der Berufsordnung der Ärzte und wurde dann gestrichen. Das heißt, dass jetzt Ärzte frei und nur ihrem Gewissen folgend Suizidwillige unterstützen dürfen, ohne selbst dafür angeklagt zu werden. Es heißt nicht, dass Hilfe zur Selbsttötung ab jetzt als eine ärztliche Dienstleistung gilt. Ärzte haben kontroverse Einstellungen bei dieser neuen Herausforderung für das ärztliche Selbstverständnis. Wann werden denn Ärzte um eine solche Hilfestellung gebeten? Am häufigsten dann, wenn es sich um eine für die Patienten unerträgliche Situation handelt. Das Problem dabei: Patienten wollen in diesen Fällen oft NICHT nicht leben, sondern nicht SO leben, was heißt, dass sie nur dann lieber sterben wollen, wenn ihre Situation sicher nicht veränderbar ist. Schon allein dies macht klar, wie vielfältig das Thema “Suizid” ist. Es geht um alles, was die Situation verändern kann, um Gesundheitssysteme und Gesellschaft genauso wie um das Individuum und seine Beziehungen. Wir wissen aus Studien, dass die sogenannte Suizidalität, also Gedanken daran, sich das Leben zu nehmen, zwar weit verbreitet, aber sehr schwankend ist, während die wirklich akuten lebensgefährdenden Phasen meist nur von kurzer Dauer sind, zum Beispiel im Rahmen von Verlusterleben und bei psychischen Erkrankungen. Speziell bei Jugendlichen spielen auch Scham über eine eigene Handlung, sozialer Ausschluss aus einer Gruppe oder Mobbing am Arbeitsplatz eine größere Rolle. Gerade hier sind aber Therapien meist erfolgreich, wenn sie rechtzeitig und unter Einbeziehung der Famiie erfolgen. An erweiterten Präventionsangeboten speziell für Kinder und Jugendliche wird gearbeitet.
Die Rolle der Ärzte beim assistierten Suizid
Schwere körperliche Erkrankungen sind meist keine ausreichende Erklärung für Suizidversuche. Die Krebsmediziner sagen uns, dass bei tödlichen Erkrankungen Suizidwünsche meist sogar nachlassen! Demgegenüber steht statistisch eine ansteigende Zahl von älteren Menschen ohne tödliche Erkrankung, die Suizidwünsche äußern. Von den Psychiatern wissen wir, dass Suizidgedanken meist unabhängig von psychischen Erkrankungen auftreten, Suizidversuche aber in der großen Mehrzahl im Kontext psychischer Erkrankungen erfolgen, bei denen doch die Freiverantwortlichkeit hinterfragt werden muss.
Was bedeutet die neue Rechtslage für Ärzte?
Gespräche über Suizidwünsche müssen möglich und “normal” werden, so dass Patienten leichter die Hemmschwelle überwinden können, mit ihren Ärzten zu sprechen. Ärzte müssen im Gespräch eine wertungsfreie Haltung einnehmen. Das klingt einfach und ist sehr schwer. Es setzt Schulungen der Ärzte voraus, vor allem aber eine Stärkung der “sprechenden” Medizin im gesamten Gesundheitssystem, in dem Patienten immer mehr darunter leiden, dass Ärzte einfach keine Zeit haben. Wer erlebt hat, wie zum Beispiel ärztliche Aufklärung vor medizinischen Eingriffen sich oft auf das Hinlegen eines möglichst rasch zu unterschreibenden Formulars beschränkt, weiß, welche Herausforderung das Einbeziehen von Gesprächen über Todeswünsche bedeutet. Das BVG hat aber bewusst und richtig hier einen Vergleich mit der ärztlichen Aufklärung thematisiert.
Ärzte müssen aber auch sehr gut über alle alternativen Möglichkeiten informiert sein und über Angebote sprechen, so z.B. alle Möglichkeiten der stationären und ambulanten Palliativmedizin. Tatsächlich kann diese ja in den allermeisten Fällen bei dem Wunsch von Patienten, nicht “so” weiterleben zu wollen ( also z.B. mit Schmerzen oder Luftnot ) sehr erfolgreich eingreifen. Gleichzeitig aber sollten Ärzte nicht beschönigen, sondern klarmachen, dass es wenige Fälle gibt, bei denen das nicht möglich ist und auch, dass Palliativmedizin nicht jedes Leiden gleich welcher Art behandeln kann. Ärztliche Aufgabe ist jetzt auch, den Patienten auf ihre direkte Frage zu sagen, ob (oder ob nicht) sie als behandelnde Ärzte in einem solchen Falle zur Hilfe bei einer Selbsttötung prinzipiell bereit wären, so dass die Patienten sich an andere Ärzte wenden können.
Suizidassistenz – was ist klar und was unklar?
Klar ist nach dem BVG – Urteil der Rechtsanspruch jedes Menschen auf Hilfe, wenn er oder sie den Entschluss zum Suizid gefasst hat. Klar ist jetzt nach der Änderung der Berufsordnung für Ärzte auch, dass Ärzte assistieren dürfen (nicht: müssen!). Dennoch bleiben viele Unklarheiten. Einige davon:
- Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass es sich um eine freiverantwortliche Entscheidung handeln muss. Sollen Ärzte das wirklich allein beurteilen? Oder in einem Gremium? Wenn eine Krankheit die Willensbildung beeinflusst, z.B. bei schweren Depressionen, ist diese Feststellung sicher ärztliche Aufgabe. Was ist aber, wenn eine Krankheit das Motiv für den Entschluss darstellt? ( ” Ich falle wegen der Krankheit allen nur noch zur Last” oder ” Ich will SO nicht weiterleben”?) Hier geht es eher darum, Alternativen zu haben und anbieten zu können.
- Da nach dem BVG das Recht auf Selbsttötung unabhängig vom Motiv besteht, also auch bei nicht kranken Menschen und unabhängig davon, ob die Gründe von außen nachvollziehbar sind, muss man auch fragen, wie und durch wen denn dann die genannten Bedingungen der Freiwilligkeit ( Nicht – Beeinflussung!) und Ernsthaftigkeit überhaupt überprüft werden könnten – und sogar sollten!
Assistierter Suizid, Aufgabe für Gesetzgeber
So bleibt noch viel zu tun und zu regeln, und ganz einig sind sich wohl alle im Augenblick nur über eins: das Urteil des BVG muss zu einer Verbesserung für die Menschen führen, auf dem Gesundheitssektor ebenso wie sozial und gesellschaftlich, sodass immer weniger Menschen Suizid “nur” deshalb planen, weil sie zuviel Schmerzen haben, weil sie im Alltag so alleingelassen werden, dass sie keinen Ausweg mehr sehen, oder weil sie meinen, jemandem zur Last zu fallen. Die Leopoldina hat sich mit verschiedenen maßgeblichen Faktoren beschäftigt und regt eine breite gesellschaftliche Debatte an. Suizidassistenz ist ein Thema, welches wie auch andere schwierige ethische Themen nach Regeln ruft, wobei es aber kaum eine ideale für Alle und Alles zutreffende gesetzliche Regelung geben kann, sondern nur “eine möglichst gute oder am wenigsten schlechte”, wie Prof. Woopen schon 2014 formulierte. Sicher ist nur eins: Wir brauchen bessere Aufklärung, mehr Palliativmedizin mit leichterem Zugang und mehr soziale Sicherheit. Das beste Ergebnis einer Präventionspolitik wäre, wenn Jeder das Gefühl haben könnte: ich habe ein Recht darauf, mich selbst zu töten; aber ich gebrauche dieses Recht nicht, weil ich andere Lösungen sehe.
Literaturtipps
Gronemeyer Reimer, A.Heller : Suizidassistenz
Hector Wittwer: Das Leben beenden. Über die Ethik der Selbsttötung
Ferner:
https://www.ethikrat.org/sitzungen/2020/recht-auf-selbsttoetung/
Hilfen bei Notlage – Suizidprävention:
https://www.suizidprophylaxe.de/hilfsangebote/hilfsangebote/
https://www.telefonseelsorge.de/telefon/
https://www.bapk.de/angebote/seelefon.html
Dank für Bild an No-longer-here auf Pixabay
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