Ist der „Hirntod“ unser Tod?

Die Nachricht: Wissenschaftler aus Yale haben Schweinegehirne 36 Stunden außerhalb des Körpers am Leben gehalten. Die Gehirne wurden erst etwa 4 Stunden nach der Schlachtung  an einen künstlichen Kreislauf angeschlossen. Die Gehirnzellen seien dabei “lebendig” gewesen. Allerdings habe man keine Hirnströme ableiten können – lebendige Hirnzellen ohne Funktion also?  Soweit die  am 25.4.  dem  “MIT Technology Review” entnommene Information. Genaueres ist nicht bekannt, der Forschungsbericht liegt noch nicht vor. Immerhin reichen diese wenigen Daten, um sich viele Gedanken zu machen: wäre das auch beim Menschen technisch möglich?  ( Wahrscheinlich).  Könnte man mit besser entwickelter Technik  Gehirne unbegrenzt am Leben erhalten? (Vielleicht). Und vor allem, denn im Gehirn verorten wir ja unsere Identität und Persönlichkeit: Würde ein solches isoliert lebendes Gehirn Bewusstsein haben, sich selbst erkennen, Gedächtnis besitzen, letztlich eine “Person” sein? Würde mein isoliertes Gehirn ICH sein? (Unbekannt). Eine Frage aber sollte schon jetzt bedacht und möglichst bald beantwortet werden: brauchen  wir dann nicht eine neue Todesdefinition?

Wann ist ein Mensch wirklich tot?

Seit der Antike bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts galten die Abwesenheit von Herzschlag und Atmung als nicht hinterfragtes Todeskriterium, wobei erst nach dem Tod  die “sicheren Todeszeichen” eintreten: Totenflecke, Totenstarre und schließlich die Zeichen der Fäulnis. Mit den wachsenden naturwissenschaftlichen Erkenntnissen  wuchsen  ab 1750 die Ängste  vor einer nicht sicheren Todesfeststellung und der Möglichkeit, lebendig begraben zu werden. Welche Anstrengungen unternommen wurden, sich davor zu schützen, zeigt gerade in Berlin das Charite-Museum in der  sehenswerten Ausstellung ” Scheintot”. In den 50-er Jahren machte die Technik ein  Aufrechterhalten des Herzschlags unabhängig von der Hirnfunktion möglich, und  1960 stellte eine französische Forschergruppe um den Neurochirurgen Pierre Wertheimer  erstmals bei einem Verkehrsunfallopfer die künstliche Beatmung trotz noch schlagenden Herzens ein,  da bei nachgewiesenem ( durch Angiografie belegtem) Stillstand der Hirndurchblutung ein Überleben ausgeschlossen  und somit der Hirntod mit dem Tod des Menschen gleichzusetzen sei.  Der “Hirntod”  wurde nach langen weltweiten Diskussionen schließlich  in Deutschland  wie folgt durch die Bundesärztekammer definiert: “Zustand des irreversiblen Erloschenseins der Gesamtfunktion des Großhirns, Kleinhirns und Hirnstamms bei einer durch kontrollierte  Beatmung künstlich noch aufrechterhaltenen Herz-Kreislauf-Funktion”. Das gesamte Gehirn und nicht nur Teile desselben muss also ausgefallen sein  und der Zustand muss irreversibel sein, also endgültig, nicht behebbar. Diese Definition liegt heute in Deutschland der Todesfeststellung zugrunde*. Die Feststellung des Hirntodes muss von zwei unabhängigen Fachärzten mit definierter Ausbildung und unter Anwendung bestimmter Untersuchungsmethoden erfolgen und dokumentiert werden. Insoweit fühlen wir uns hier und heute auf sicherem Boden.

 

“Wieviele Etagen hat der Tod?”

Das fragte sich Jean Paul Sartre schon vor 1980 angesichts der Fortschritte der Medizin. Bisher gelten  3-8 Minuten als die Zeit, in der die irreversible Schädigung der Hirnzellen eintritt, zunächst der Großhirnrinde mit Verlust der kognitiven Fähigkeiten, dann  ( ca 10 Min.) auch des übrigen Gehirns, besonders des Hirnstamms mit Verlust der autonomen Fähigkeiten (z.B.Atmung). Erinnern Sie sich? Wenn die neuen Informationen so stimmen, dann wurden die Schweinegehirne erst 4 Stunden nach der Schlachtung abgeholt und danach 36 Stunden künstlich durchblutet. Das würde heißen, dass der Hirntod, der nach so langer Zeit nach unseren bisherigen Kenntnissen  längst eingetreten war, nicht irreversibel, sondern behebbar wäre. Womit die Grundlage unserer Hirntoddefinition  entfällt. Wie so häufig, wäre mit den neuen Erkenntnissen auch  ein  neues Problem aufgetaucht, dem wir uns möglichst bald stellen müssten.  Wir haben keine Möglichkeit, dem zu entfliehen. Bisher konnten wir es wenigstens  mit Epikur halten: “Der Tod ist ein Nichts: solange wir da sind, ist er nicht da, und wenn er da ist, sind wir nicht mehr”.  Auch das ist uns jetzt genommen, würden wir dann ja nicht mehr wissen, wann er da ist. Oder? Wenn Sie jetzt darüber nachdenken, wo kommen Sie an Ihre Grenzen? Welche vorläufigen Antworten würden Sie finden? Und dabei sind die folgenden interessanten Fragen betreffend des isolierten Gehirns noch gar nicht berührt.

 

Bin ICH in meinem  isolierten Gehirn?

Als Gedankenexperiment ist das schon lange in der Philosophie existent (“Gehirn im Tank”), aber auch in der Literatur, so wie in der 1959 geschriebenen Kurzgeschichte Roald Dahls “William and Mary”. Die Frage wurde auch diskutiert vor 5 Jahren bei einer Veranstaltung des Deutschen Ethikrates (http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/weitere-veranstaltungen/neuroimaging ) Wenn man die vielen Argumentationen mutig in einem Satz zusammenfassen wollte, dann vielleicht mit diesem:  Wir wissen noch zu wenig, aber das Gehirn NUR als Festplatte zu sehen, ist auch vereinfacht. Wir haben wohl den Rest unseres Organismus nötig, um ICH zu sein, das Gehirn braucht das ständige Hin und Her von In – und Output.  Aber dazu  mehr ein anderes Mal.

 

Literatur Tipp

Der Tod: Philosophische Texte von der Antike bis zur Gegenwart

Ernst Tugendhat: Über den Tod

Roald Dahl: Küsschen, Küsschen. Kurzgeschichten

Deutscher Ethikrat: Hirntod

 

*Es sollte hier betont werden, dass  Feststellung des Hirntodes unabhängig von einer eventuell folgenden Organentnahme bei erwünschter Organspende erfolgt. Das ist in Deutschland nur in etwa jedem 2. Fall so.  Auch ist die Hirntoddefinition nicht wegen der Möglichkeit der Organspende erfunden worden, wie  Gegner von Hirntodkriterium und Organspende oft anführen: die erste Organspende fand nach 1960 statt.

 

 

 

 

3 Antworten zu “Ist der „Hirntod“ unser Tod?”

  1. Ute Altanis-Protzer sagt:

    Nachtrag zum Text Hirntod: ich erhielt außerhalb dieser Kommentarlinie von einem sehr geschätzten und kenntnisreichen Leser noch einen Hinweis auf ein zum Komplex “personale Identität und Verortung im Gehirn” empfehlenwertes Buch:

    Philipp Bode: Gehirnsein (Epistemata Philosophie Band 580).

    Danke, MCoors @einwuerfe!
    UAP

  2. Wolf sagt:

    Brillant. Anregend. Man hält an und denkt nach. Da kann man nur auf mehr hoffen.
    Vielen Dank und Gruß aus LA
    Wolf

    • Ute Altanis-Protzer sagt:

      Vielen Dank, Wolf aus L.A./USA! Die Themen werden nicht ausgehen, sie scheinen sogar täglich mehr zu werden. So ein Blog kann immer nur Anregung sein. Dies ist der beste Fall: innehalten, nachdenken, mitdiskutieren! Grüsse aus Berlin! UAP

Kommentar verfassen

*