Sind Pflanzen Lebewesen?

In dieser Zeit, in der Menschen mit so vielen Problemen zu kämpfen haben, ausgerechnet über Pflanzen reden? Unbedingt, denn Menschen sind von Pflanzen unmittelbar abhängig. Nur Pflanzen produzieren Sauerstoff, den wir für unsere Atmung brauchen. Das Überleben von Tieren und Menschen ist vom Überleben der Pflanzen abhängig. Die Begrünung der Erde begann damit, dass eine Algenart sich vor 500 Millionen Jahren an das Land anpasste. Heute beschäftigen sich Universitäten damit,  die molekularen und morphologischen Prozesse von damals zu begreifen in der Hoffnung, dass wir mit diesem Wissen heute Pflanzen helfen können, sich besser an den Klimawandel anzupassen, der sie und uns bedroht.

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Behinderung – Teilhabe – Partizipation

“Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden”, so klar sagt das Artikel 3 des Grundgesetzes. Behinderung muss mit Teilhabe und Partizipation zusammen gedacht werden. Teilhabe, Inklusion, Partizipation sind mehr als schöne Schlagworte. Die Fragen sind:  wer ist eigentlich “behindert”? Was geht uns das alle an? Und wie gehen wir damit um?

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Seltene Erkrankungen – Orphan Diseases

Wenn eine Erkrankung bei weniger als 1 Million Einwohner auftritt, gilt sie definitionsgemäß als “selten”. Wir können aber nicht etwas als “selten” ignorieren, was in Deutschland etwa 4 Millionen und weltweit 400 Millionen Menschen betrifft. Im Gegenteil gehen uns die besonderen Probleme der Betroffenen alle an, gehören sie doch zu den vulnerabelsten und damit schutzbedürftigsten Mitgliedern unserer Gesellschaft.

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Gendermedizin und Feministische Medizin

Gendermedizin, Feministische Medizin – alles nur neue Schlagworte? Etwas, was gerade “in” ist? Nein, denn endlich wird ein Problem wahrgenommen, bedacht, diskutiert und erforscht, welches schon lange bekannt ist, aber bisher nicht den nötigen Stellenwert bekam: die Tatsache, dass die Medizin bisher nicht differenziert arbeitet und dass sie selbst nicht etwa geschlechtsneutral ist, sondern männlich! Es geht darum, dass wir von einer Gleichberechtigung im Gesundheitswesen weit entfernt sind.

Rollenstereotype

Auch wenn schon 1754 Dorothea Christiane Erxleben (geborene Leporin) zum „Doktor der Arzeneygelahrtheit“ erklärt wurde, waren zum Medizinstudium Frauen in Deutschland erst ab 1908 zugelassen. Heute gibt es praktisch gleich viele Ärzte und Ärztinnen. Die Ausbildung ist für alle gleich und beruht auf einem Berufsbild, welches von Anfang an sogenannte “männliche” Eigenschaften wie Rationalität, Durchsetzungsvermögen, Führungsqualität, Entschlussfähigkeit, Objektivität zugrundelegte und sogenannte “weibliche” wie Empathie, Geduld, Zuhörenkönnen und Fürsorge, nicht einbezog. Das verstärkte sich immer mehr im Lauf der Jahre durch den wachsenden Stellenwert von Methodik, Statistik, Computereinsatz und Robotik, was als technische Anforderung wiederum männlich konnotiert ist.

Keine Gleichheit in der Medizin

Frauen erbrachten große Anpassungsleistungen in Studium und Weiterbildung, um als “gleich” wahrgenommen zu werden. So gingen die “weiblichen” Vorteile immer mehr verloren. Das System selbst tat ein Übriges, indem neue technische Medizin immer besser und die  “sprechende Medizin” immer schlechter finanziert wurde. Gleichheit gibt es dennoch nicht. Es werden nötige Rollen so gut ausgefüllt wie möglich. Nach Daten des Deutschen Ärztinnenbundes gibt es in der Frauenheilkunde ca 70%, in der Neurochirurgie  dagegen etwa 10% Frauen; Frauen verdienen weniger und erreichen zu einem viel geringeren Teil Führungspositionen. Warum ist das nicht etwas, was nur innerhalb der Ärzteschaft wichtig ist und was man wie viele Diskriminierungen anderer Gruppen betrachten, bedauern, ändern kann? Weil es um etwas viel Wichtigeres geht: um die Patienten. Die nämlich wenden sich zu großen Teilen auch dann, wenn sie gerade diese bitter nötig hätten, von der hochtechnisierten “Schul”- Medizin ab und suchen Hilfe bei alternativen Leistungserbringern einfach deshalb, weil sie jemand brauchen, der Zeit hat, ihnen zuzuhören und wo sie sich daher besser aufgehoben fühlen.

Patienten

Das lateinische Wort bedeutet “Duldende, Leidende”. Diese Menschen leiden genug an ihrem Kranksein; sie sollten somit nicht zusätzlich an der Medizin leiden, vielmehr müsste ihnen diese die besten Möglichkeiten bereitstellen. Nun zeigen aber Untersuchungen, dass es von Ärztinnen behandelten Patient*innen besser geht! Genauer, wenn man Daten von Sterblichkeit, Wiederaufnahme ins Krankenhaus oder postoperativen Komplikationen vergleicht, sieht man kleine, aber statistisch signifikante Differenzen. Interessant ist auch eine Studie aus den USA von 2018, die eine höhere Sterblichkeit von Patientinnen beschreibt, wenn männliche Ärzte behandelten, während bei Behandlung durch Ärztinnen die Sterblichkeit für Männer sowie für Frauen gleich war. Solche Ergebnisse zeigen, wie wichtig neue Forschung in diese Richtung ist und dass es sowohl für die Ausbildung wie auch die Berufsausübung in der Medizin Konsequenzen geben muss.

Die Fakten: Unterschiede bei Geschlechtern

Es gibt eine Reihe bekannter Unterschiede, wobei in vielen Fällen die Ursachen nicht klar sind, also was  “biologisch” begründet ist und was ganz andere Ursachen haben könnte. Männer haben eine geringere Lebenserwartung, weltweit ist bei ihnen die Tuberculose viel häufiger. Bei der akuten Hepatitis C zeigen Frauen in viel höherem Maße spontane Heilungen. Sie produzieren mehr Antikörper auf Grippe – Impfstoffe, jedenfalls bis zur Menopause. Obschon das Verhältnis bei Covid-19 relativ ausgewogen ist (es erkranken leicht mehr Frauen als Männer), versterben in den jüngeren Altersgruppen deutlich mehr Männer an der Erkrankung. Männer sterben auch eher an Krebs, Frauen haben mehr Nebenwirkungen bei den Therapien. Herzinfarkte bei Männern sind häufiger, der Verlauf bei Frauen häufiger tödlich. Symptome können völlig verschieden sein. Das gilt auch für Depressionen: Frauen erkranken “typisch”, bei Männern zeigt sich die Erkrankung oft eher durch Schmerzen, Suchtproblemen, Selbsttötungen (2020 bei Männern etwa drei mal so häufig). Asthma ist bei Frauen häufiger und verläuft schwerer und häufiger tödlich. Medikamente wirken völlig unterschiedlich, was mit dem zum Teil durch Sexualhormone gesteuerten Abbau der Wirkstoffe zusammenhängt. Das führt bei Frauen zu ganz anderen Nebenwirkungen, auch kann die gleiche Dosis für beide Geschlechter schwerwiegende Folgen haben: nicht ausreichend oder zu hoch sein.

Anderes Immunsystem

Dass große Unterschiede bestehen, zeigt sich besonders eindrucksvoll im Immunsystem, bei Infektionskrankheiten; tatsächlich gibt es auch für den bekannten immer wieder karikierten “Männerschnupfen” eine biologische Grundlage! Aber auch bei der Krebsentstehung gibt es Lebenstil – unabhängige Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So wurden Faktoren entdeckt, die vielleicht bald zu einer frühen Identifizierung von männlichen Hochrisikogruppen bei Darm- und Pankreaskrebs verhelfen. Das sind nur einige Beispiele. Fest steht aber immer mehr: Wir haben gelernt, dass der durchschnittliche Crashtest  – Dummy von 70 kilo nicht repräsentativ für alle sein kann. Jetzt könnte die Gendermedizin endlich zu mehr Gerechtigkeit in der Medizin führen – nicht nur für Frauen.

Geschlechtsspezifische Forschung?

Dazu brauchen wir nicht nur mehr, sondern andere Forschung. Fakten: die meisten bekannten Medikamente wurden nur an Männern erforscht. Studien finden an männlichen Mäusen statt. In klinischen Studien sind Frauen unterrepräsentiert. Auch die Genomforschung erfolgt in Europa hauptsächlich beim Mann. Welche Schlüsse wird man daraus ziehen und wie und worauf werden diese Anwendung finden? Obschon bekannt ist, dass geschlechtsspezifisch Symptome, Diagnostik, Verlauf ganz unterschiedlich sind,  – z.B. ist die Aktivität des sympathischen Nervensystems einfach verschieden, was beim Herzinfarkt wichtig ist –  ist der Bereich weiterhin bei Frauen untererforscht. Für die häufige Krankheit Diabetes werden männliche Referenzwerte zugrundegelegt. All das hat Konsequenzen, dennoch werden die Geschlechter gleich behandelt, was in unserem Zeitalter, wo wir von personalisierter Medizin sprechen, nur anachronistisch erscheinen kann. “Minderheiten” – Gruppen wie schwangere Frauen in der Psychiatrie sind ebenso völlig unerforscht wie Menschen verschiedener Ethnien, aber auch zu spezifischen Frauenerkrankungen, wie z.B. Endometriose, findet man kaum etwas.

Probleme von Studien

Die Hürden in der Forschung sind bekannt: spätestens seit Contergan gingen Studiendesigner Frauen am liebsten aus dem Weg. Von1977 – 1993 schloss die FDA sie ganz von der Phase I der klinischen Studien aus. Erst seit 2014 kam die Vorschrift des NIH, in Studien die gleiche Anzahl von Männern und Frauen einzubeziehen.

Hoffnung Künstliche Intelligenz ?

KI basiert auf Maschinellem Lernen, Big Data – also dem Management großer Datenmengen – und automatisierten Testmethoden, wobei dann die Auswertung der Daten wiederum automatisiert nach Verknüpfungen und Mustererkennungen sowie Wahrscheinlichkeitsberechnungen stattfindet. Leider ist bis heute der Traum von Objektivität durch KI nicht Wirklichkeit geworden. Man muss vielmehr sagen, dass es noch gar keinen sicheren Ansatz gibt, um Diskriminierung durch KI zu verhindern. Die bisherigen Erfahrungen zeigen zum Beispiel Apps, die Frauen bei Arbeitssuche diskriminieren, rassistische Algorithmen und in der Medizin ein Versagen von Anwendungen bei Menschen mit dunklerer Hautfarbe. Da jetzt schon DiGas zugelassen und von Kassen bezahlt werden, kommen drängende Fragen auf: gibt es überhaupt Daten über Genderaspekte, die dort eingeflossen sind? Und werden diese Aspekte bei den Zulassungen berücksichtigt?

Gerecht? Gleich? Fair?

Die Programmierer sind meistens männlich. Kennen sie diese Problematik, haben sie Zugang zu “weiblicher” Sichtweise? Es gibt das schöne Bild einer Aufnahmeprüfung, bei der sich Elefant, Fisch und Affe bewerben. Damit Gerechtigkeit herrsche, sollen alle die gleiche Aufgabe bewältigen: auf einen gezeigten Baum klettern. Das Bild zeigt besser als jede Abhandlung, dass gleiche Behandlung nicht automatisch fair und gerecht ist. Wenn man dies bis zum Ende durchdenkt und weiß, dass Programmierer letztlich ihre Sichtweise implementieren, versteht man Fragen der “feministischen Medizinerinnen“, ob wir nicht programmierende Frauen brauchen, die eine “feministische KI” bauen, nicht mehr als zugespitzt.

Viele Probleme

Auch ohne einzugehen auf grundlegende Problematiken, auf Theorien, was überhaupt Geschlecht ist, wie es konstruiert wird, was für Konsequenzen das alles für jeden Lebensbereich hat, kann man in der Medizin und besonders im Hinblick auf die Anwendung von KI ein besonderes Problem erkennen: in allen anderen Bereichen versucht man, um gerechter zu sein, eine direkte Referenz auf das Geschlecht ebenso zu vermeiden wie auf andere Kategorien ( z.B. Angabe von Ethnie bei Arbeitsplatz- und Wohnungssuche), aber in der Medizin brauchen wir aus den genannte Gründen unbedingt geschlechtergetrennte Daten.

Fazit:

Aus alledem kann man eigentlich nur den Schluss ziehen:

  • Frauen brauchen eine andere Medizin als Männer
  • Eine Medizin mit Einbeziehung der “weiblichen” Eigenschaften ist gut für alle Patienten
  • Die Medizin muss in allen Anwendungen einschließlich KI für alle fair werden – was nicht “gleich” heisst

Deshalb: ja, wir brauchen nicht nur viel mehr Forschung in der Gendermedizin und in der Praxis eine neue “geschlechtersensible Medizin”, sondern auch die politische Aktivität der feministischen Medizin! Besonders, wenn es um Gesundheit geht, kann nicht die eine Hälfte der Menschheit weiterhin nur “mitgemeint” sein, nachdem inzwischen feststeht, welche negativen Auswirkungen eine nur männliche Medizin hat. Vor allem aber darf diese männliche Medizin nicht mehr auf die Zukunftsanwendungen der Künstlichen Intelligenz übertragen werden.

 

Literaturtipps:

Vera Regitz-Zagrosek, St. Schmid-Altringer: Gendermedizin

Vera Regitz-Zagrosek, St.Schmid-Altringer: Die XX – Medizin

Safiya Umoja Noble: Algorithms of Oppression: How Search Engines Reinforce Racism

Danke für Bild von djedj auf Pixabay

 

 

 

 

Pflegerobotik Update

Vor zwei und vor vier Jahren habe ich mich hier mit Robotern im Zusammenhang mit Pflege, zuletzt besonders mit “Gefühlen” bei Robotern beschäftigt. Zeit für ein Update. Was hat sich geändert? Gibt es inzwischen DEN Durchbruch? Um es gleich zu sagen: nein. Auch wenn es vor allem technisch sehr viel Fortschritt gegeben hat.

Assistenzroboter oder sozioemotionale Roboter

Weiterhin gilt diese Einteilung. “Assistenz”- oder “Service”- Roboter arbeiten selbständig, das gilt sowohl für Industrieroboter wie den Saugroboter im Haushalt. Sozioemotionale oder auch “Begleit”- Roboter, z.B. Pepper, Paro und deren Nachfolger können in der Beschäftigung von Menschen eingesetzt werden. Das Problem für den Einsatz in der Pflege liegt darin, dass es diese beiden Leistungen nicht gleichzeitig gibt. Assistenzrobotik kann die Pflege selbstverständlich entlasten, als Pflegerobotik kann man sie aber ebenso wenig bezeichnen wie zum Beispiel einfache Transportsysteme. Sie kann lediglich Zeit und Kraft einsparen helfen. Das ist wichtig, aber keine “Pflege”, zumindest keine selbständige. Der “Pflegenotstand” kann nicht durch Roboter beendet werden.

Fachpflege, was ist das eigentlich?

Bei pflegerischem genauso wie ärztlichem Handeln ging es eigentlich immer um Für – Sorge, was nicht gleichbedeutend mit Ver – Sorgen ist. Die Wurzeln liegen in Tätigkeit als Hilfe und Sorge, care, caritas,  aber es gibt einen Professionalisierungsprozess, der immer weiter fortschreitet. In beiden Fällen ist eine langjährige Ausbildung nötig. Im Pflegeberufegesetz werden die Tätigkeiten aufgelistet, die examinierten Pflegekräften vorbehalten sind. Dazu gehören Organisation, Gestaltung, Sicherung und Entwicklung der Qualität in der Pflege, vor allem aber die “Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs”. Das zeigt klar, dass Fachpflege heute auf eigenen Konzepten beruht, entwickelt und begründet vom Fach “Pflegewissenschaft” und dass es sich keinesfalls nur um Ausführung ärztlicher Anordnungen handelt. Warum ist das wichtig?

Pflegeplan ist individuell

Ein guter Pflegeplan kann nicht standardisiert nach Diagnosen aufgestellt werden, sondern nach der Beobachtung und Expertise durch eine Fachpflegekraft. Die Pflegewissenschaftlerin Professorin Martina Hassler wies bei einem kürzlichen Vortrag beispielhaft darauf hin, dass die Pflegeperson während des Transportes eines Patienten viel wahrnimmt; sie registriert den Augenkontakt, erfährt viel über Orientierung und den neurologisch-psychischen Status. Dieser Hinweis zeigt besser als jede theoretische Diskussion, wie ganz falsch es sein  würde, wenn wirklich Patienten in der Klinik nur noch von voll automatisierten Systemen beispielsweise zur Röntgenabteilung gefahren werden würden.

Handlungskompetenz als Ziel

Das letztliche Ziel der Fachausbildung ist Handlungskompetenz, nach der Definition der Kultusministerkonferenz 2018  „die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten“. Spätestens hier wird klar, dass Roboter nicht Fachpflege ersetzen können. Roboter “denken” nicht, “entscheiden” nicht und “handeln” nicht. Wir werden völlig neue Begriffe brauchen und sicher diese uns bekannten vielleicht neu überdenken und  im Zusammenhang mit  Künstlicher Intelligenz (KI) neu bewerten müssen. Handlungen und Entscheidungen jedenfalls haben immer mit Verantwortung zu tun, und diese ist dadurch charakterisiert, dass sie einklagbar ist.

Der ethische Aspekt

Wichtig ist ferner der Aspekt  ethischer Verantwortung. Es wird die Achtung der Menschenrechte, einschließlich kultureller Rechte, des Rechts auf Leben und Entscheidungsfreiheit auf Würde und auf respektvolle Behandlung als untrennbar von der Pflege bezeichnet. Pflege wird “mit Respekt und ohne Wertung des Alters, der Hautfarbe, des Glaubens, der Kultur, einer Behinderung oder Krankheit, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Nationalität, der politischen Einstellung, der ethnischen Zugehörigkeit oder des sozialen Status ausgeübt”. Auch hier ergeben sich viele Fragen für den Einsatz von “selbständigen” Robotern.

Wie weit ist das  Recht

2019 hatte die “High-Level Expert Group on AI” im Anschluss an eine Pilotphase mit weitreichender Diskussion einen Vorschlag für Leitlinien einer vertrauenswürdigen KI gemacht. 2020 wurde eine “Final Assessment list for trustworthy AI” vorgestellt, auf die Entwickler zurückgreifen sollten. 2021 gab es von Seiten der EU- Kommission Entwürfe für Regeln, den Umgang mit künstlicher Intelligenz betreffend. Danach soll eine vertrauenswürdige KI neben allen geltenden Gesetzen auch besondere Anforderungen erfüllen: sie soll die menschliche Entscheidungsfreiheit und Autonomie unterstützen, nicht beeinträchtigen und einschränken. Die zugrundeliegenden Algorithmen müssten konsistent, fehlerfrei und robust arbeiten. Entscheidungen der KI müssten nachvollziehbar und es müsste eindeutig sein, wer für sie verantwortlich ist. Menschen sollten die Kontrolle über ihre Daten behalten und dürften durch die Datenverarbeitung der KI nicht geschädigt oder diskriminiert werden.

Robotergesetze von 1942

Wenn man das liest, sieht man im Grunde die schon 1942 formulierten “Robotergesetze” von Isaac Asimov: Ein Roboter darf kein menschliches Wesen verletzen oder durch Untätigkeit zulassen, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird. – Ein Roboter muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen, es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins kollidieren.- Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel eins oder zwei kollidiert. Nichts Neues also? Das wäre vereinfacht. Es ist erfreulich, dass der weltweite Diskurs seit Jahren gefördert wurde. Bis allerdings wirklich EU-Regeln vorliegen, werden weitere Jahre vergehen, da der demokratische Prozess erfordert, dass Vorschläge der EU-Kommission anschließend durch die EU-Staaten und das Europaparlament verhandelt werden müssen. Bis zu einem solchen Punkt ist jedenfalls für den Kontext “Pflege” festzuhalten, dass Roboter niemals allein am Patienten bleiben dürfen, was allein schon aus Sicherheitsaspekten ausgeschlossen sein muss.

Was heißt das für die Pflege?

Der Deutsche Ethikrat hatte 2020 in seiner Stellungnahme gesagt, dass er einen möglichen Nutzen der Robotik für den Pflegebereich anerkenne, diesen aber nicht in der Beseitigung von Personalengpässen oder des Pflegenotstandes sehe, sondern im Sinne der Unterstützung und Förderung guter Pflege. Voraussetzung sei in jedem Falle, dass Roboter nicht als Ersatz zwischenmenschlicher Beziehungen betrachtet werden im Sinne einer bloßen Effizienzmaximierung, ferner, dass sie nie gegen den Willen von Gepflegten und Pflegenden eingesetzt werden dürften und dass alle Betroffenen in die Entwicklung der Technik einbezogen werden. Dem ist eigentlich nichts  hinzuzufügen, aber man kann heute erfreut feststellen, dass die Diskussion jetzt in eben diese Richtung geht.

Zusammenarbeit von Pflege und Technik

Es werden gemeinsame differenziertere Ziele von Pflegewissenschaft und Technik formuliert. Dabei ergeben sich auch neue Fragen: zum Beispiel bestehen andere Anforderungen für Pflege in der Klinik und für solche zu Hause. Das Gute der technischen Seite  ist, dass sie Roboter anpassen kann; das muss aber im Hinblick auf die jeweilige Anforderung erfolgen und setzt im Vorfeld eine konstruktive Arbeit mit Pflegenden, Patienten und Angehörigen voraus, in der Klinik ferner mit Pflegedienstleitern und Organisationsstrukturen. Ein weites Feld! Zudem scheint auch ein neues Problem auf: wird die Einführung von mehr Technik nicht auch in der Pflege selbst mehr Standardisierungsdruck machen, weil die Individualisierung auch bei Robotern technisch und finanziell an ihre Grenzen stoßen wird?

Fazit

  • Die je nach Standpunkt und Interessen Hoffnung oder Angst, dass Roboter Fachpflegekräfte ersetzen können, scheint immer unbegründeter.
  • Im Augenblick ist jeder Roboter noch selbst sehr “pflegebedürftig”,  er braucht noch mehr die Menschen als die Menschen ihn.
  • Die in der Werbung oft dargestellte Kombination von Serviceroboter und sozioemotionalem Roboter ist nicht erreicht und im Augenblick gar nicht vorstellbar.
  • Der Technikfortschritt ist deutlich. Er bedeutet allerdings auch, dass nicht weniger, sondern mehr und vor allem besonders qualifizierte Pflegefachkräfte erforderlich sind.
  • Eine Zukunft in der Pflegerobotik liegt im individuellen Anpassen an die Bedürfnisse der Menschen. Dazu ist nicht nur viel mehr interdisziplinäre Forschung erforderlich, sondern auch praktische Zusammenarbeit von Entwicklern und Pflegefachkräften vor dem Einsatz eines  Roboters im Einzelfall.

 

Literaturtipps

 

Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit: Digitalisierung in der Pflege

Jannis Hergesell, Hrsg: Genese und Folgen der Pflegerobotik

Tina Drechsel, Julia Inthorn (Hrsg) 

 

 

Danke an Pete Linforth für Bild auf Pixabay