Organspende und Hirntod

Vor drei Jahren habe ich hier einen Beitrag zur Organspende eingestellt, der sich hauptsächlich mit dem Pro und Contra der Widerpruchslösung beschäftigte. Was hat sich inzwischen getan, wo stehen wir heute? In diesem Beitrag soll es nur um die Entnahme und Transplantation von Organen bei Hirntod gehen. Ein zweiter Beitrag über Lebendspende und neue Möglichkeiten von Organersatz wird folgen.

Weiterhin Entscheidungslösung

Geändert hat sich nichts Wesentliches. Die Rechtslage ist für den Einzelnen die Gleiche: niemand wird automatisch Organspender, in Deutschland gilt weiterhin die Entscheidungslösung und entscheiden kann sich Jeder ab 16. Bei Kindern bis 16 entscheiden die Eltern, allerdings kann ein Kind ab 14 dieser Entscheidung widersprechen. Es gibt kein Mindest- oder Höchstalter für eine Spende, entscheidend ist der Zustand der Organe. Es muss auch erwähnt werden, dass im Gegensatz dazu in vielen anderen Ländern der EU die Widerspruchslösung gilt, z.B. in Österreich, Frankreich, Italien, Spanien und Polen. In diesen Ländern ist also jeder Organspender, wenn er nicht aktiv ausdrücklich widerspricht. Da bei Reisen die Gesetze des Aufentshaltslandes gelten, sollten Sie also, wenn Sie Organspende nicht bejahen, eine Widerspruchserklärung bei Ihren Papieren mit sich führen!

Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft

Dieses neues Gesetz wurde 2020 beschlossen und soll Anfang nächsten Jahres in Kraft treten. Es soll bessere Aufklärung und verbindliche Informationen für alle Bürger bereitstellen, um eine intensivere Beschäftigung mit der Thematik zu ermöglichen. Das Thema soll in Erste-Hilfe-Kursen und Fahrschulen angesprochen werden, Hausärzte sollen mehr beraten. Auch wird ein bundesweites online – Register angelegt. Ausweisstellen sollen Aufklärungsmaterial und Organspendeausweise aushändigen oder (bei elektronischer Antragstellung) elektronisch übermitteln, wobei gleichzeitig weitere Informationen, z.B. über die Registrierung, weitergegeben werden sollen.

Viel Not und wenig Organspenden

Es erscheint paradox: die Zahlen gehen zurück, während die Bereitschaft wächst! Nach einer Befragung der BZgA  sind rund 73 Prozent der Deutschen bereit, Organe zu spenden, aber die Zahl der tatsächlichen Organspender war im vergangenen Jahr leicht rückläufig. Noch immer warten Tausende auf ein lebensrettendes Spenderorgan. Auch in Europa als Ganzes ist die Lage nicht sehr gut: 2020 wurden 35.529 Organtransplantationen durchgeführt, dabei aber 43.183 neue Namen von Leidenden auf die Warteliste gesetzt. Betrachtet man diese Zahlen, sieht man zunächst viel Leid und viele “unnötige” Todesfälle. Wenn man aber die Ursachen hinterfragt, stößt man nach wie vor und ziemlich unverändert auf den Satz: “Ich habe einfach Angst, in einem Krankenhaus für tot erklärt zu werden, weil man da gerade Organe braucht”.

Hirntod – die sicherste Diagnose in der Medizin

Diese Angst zumindest ist ganz unbegründet. Die Feststellung des Hirntodes wurde als die “sicherste Diagnose” in der Medizin bezeichnet, weil strengste Kriterien gelten: zunächst muss die Untersuchung zur Feststellung des Hirntodes von zwei Ärzten vorgenommen werden, die nicht an der Entnahme oder Übertragung der Organe beteiligt sind, und zwar unabhängig voneinander!  Dabei gibt es strenge Qualifikationsanforderungen. Das Team, welches den Hirntod feststellt, ist ein anderes als das, welches die Organe entnimmt. Der Empfänger wiederum wird von keinem dieser beiden Teams bestimmt, sondern durch die Stiftung Eurotransplant, welche eine gemeinsame Warteliste von Spendebedürftigen aus acht europäischen Ländern führt. In Deutschland leitet die DSO alle Daten über gespendete Organe an Eurotransplant weiter. Es gibt Kriterien dafür, wer dann welches Organ erhält, zunächst natürlich die Kompatibilität, also die Übereinstimmung von Blutgruppen oder bestimmten Gewebemerkmalen, aber auch die medizinische Dringlichkeit, die Länge der Wartezeit und die Aussichten auf Erfolg der Transplantation. Richtlinien dafür werden von der Bundesärztekammer festgelegt.

Die Angst vor einer willkürlichen Hirntodfeststellung kann also durch Aufklärung genommen werden; man kann nicht “einfach Jemanden für tot erklären” und dann seine Organe entnehmen!

Leben, Seele, Geist, Ich im Gehirn?

Das eigentliche Problem liegt woanders: in der Frage, ob denn “Hirntod” gleichzusetzen ist mit “Tod”. Was Leben ist und und wann ICH tot bin.

Mit dieser Frage beschäftigen sich Menschen seit Jahrtausenden. Der griechische Philosoph Platon prägte das Christentum mit seiner Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Aristoteles stellte zwar das Herz, nicht das Gehirn, in den Mittelpunkt (kardiozentrisches Weltbild), hat aber durch seine ganzheitliche Betrachtungsweise des Menschen und seiner Seele die Philosophie bis heute beeinflusst. Beim griechischen Naturphilosophen Alkmaion liegt eigentlich der Beginn der Hirnforschung. Er sagte im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, das Gehirn sei es, welches die Wahrnehmungen gestatte, aus welchen dann Gedächtnis und Vorstellung sowie Wissen entstehe. Das ist die Geburtsstunde des encephalozentrischen Weltbildes, welches sich in unserem Kulturkreis durchgesetzt hat: wenn der Hirntod eintritt, hört das individuelle Leben auf. Hirntod ist der Organtod des Gehirns.

Nach der Hirntodfeststellung

Das hat auch praktische Konsequenzen: die Rechtsfähigkeit der Person gilt als beendet. Eheverträge hören auf, Lebensversicherungen werden fällig, die Erbfolge tritt ein. Auch die Krankenversicherung gilt als beendet, und Ärzte dürfen nicht mehr “weiterbehandeln”.

Verschiedene Tode

Heute wissen wir, dass es einen Sterbeprozess gibt, an dessen Ende der Biologische Tod steht. Hier erlöschen alle Organ- und Zellfunktionen. Gekennzeichnet ist er durch “sichere Todeszeichen” wie Leichenstarre, Totenflecken und Verwesung. Er wird festgestellt durch Ärzte in der Leichenschau. Der “Hirntod” wurde 1968 definiert (völlig unabhängig vom Transplantationsthema!), 1997 dann in Deutschland ins Transplantationsgesetz aufgenommen. Die Bundesärztekammer bezeichnet ihn 2015 als “irreversiblen Hirnfunktionsausfall”. Wohlgemerkt: unumkehrbar und des gesamten Gehirns! Das hat also gar nichts zu tun mit “Wachkoma” ( Ausfall von Großhirnfunktionen) oder “Locked-In-Syndrom” (Ausfall von Hirnstammfunktionen). Dennoch ist “Hirntod” nicht dem Biologischen Tod gleichzusetzen; es ist mehr als Wortklauberei, dass der Neurochirurg Moskopp vorschlug, “Hirntod” nicht als “Tod” sondern als “sicherstes Todeszeichen” zu bezeichnen. Der sogenannte “Klinische Tod” besteht dagegen dann, wenn Herz und Kreislauf versagen und damit der Körper nicht mit Sauerstoff versorgt wird, was dann zu Organversagen und Tod führt, wenn keine Wiederbelebungsmaßnahmen ergriffen werden.

Unser Menschenbild

Bei der Entscheidung, Organspender zu sein, geht es also darum, ob unser Menschenbild enzephalozentrisch ist und ob wir, jeder Einzelne, glauben dass ein Mensch “tot” ist, wenn alle seine Hirnfunktionen nachweislich ausgefallen und sicher nicht wiederherstellbar sind. Das ist der Punkt, über den jeder nachdenken muss. Wenn ich mit den bekannten Kriterien als “hirntot” erklärt werde, ist eben nicht mein ganzer Körper biologisch “tot”, aber meine Hirnfunktionen sind unwiderruflich verloren. Nur wer das weiß und als Grundlage akzeptiert kann mit Überzeugung Organspender*in werden. Und Angehörige werden nur dann verstehen, was folgen muss: die sogenannten “organprotektiven Maßnahmen”, mit denen der Kreislauf bis zur Organentnahme künstlich aufrechterhalten wird, was aber dazu führt, dass der hirntote Mensch nicht “tot” aussieht: keine Leichenblässe und -Kälte, keine Todesflecken und vor allem keine völlige Reaktionslosigkeit auf Reize.

Hirntote sehen nicht tot aus

Dieses Anerkennen, dass hier dennoch “Tod” vorliegt, Hirntod, ist die einzige klare Voraussetzung für eine bewusste Entscheidung zur Organspende. Sehr Viele sind sich darüber einfach nicht klar; die grundlegenden Begriffe werden verwechselt, es liegt ein allgemeines Unbehagen vor. Das erklärt das oben angeführte Paradoxon, dass Menschen “für” eine Organspende sind, aber keinen Organspendeausweis ausfüllen. Es ist die Haltung des Bartleby in der Erzählung Hermann Melvilles “I would rather not to – ich möchte lieber nicht”.

Religiöse und kulturelle Überzeugungen

Hilfreich ist, dass bei den größten Religionsgemeinschaften Christentum, Judentum und Islam im Kern Einigkeit “pro Organspende” herrscht. Auch interkultureller Dialog hat begonnen. Das ist wichtig angesichts verschiedener kultureller Konzepte auch von Sterben und Tod, die Menschen mehr oder weniger verunsichern können. Dennoch liegt der Hauptgrund für die geringe Anzahl von Organspendern nicht hier, sondern in der Skepsis gegenüber dem “Hirntod”. Der Medizinethiker Giovanni Maio  hat schon 2014 darauf aufmerksam gemacht, dass moralische Appelle und Kampagnen mit Bildern und persönlichen Details von Menschen, die auf Spenden warten, eben nicht geeignet sind, das beschriebene grundlegende Unbehagen beim Thema Hirntod abzubauen.

Transparenz nötig

Was gebraucht wird, ist vielmehr eine völlige Transparenz in den Diskursen. Die mit dem neuen Gesetz 2022 in Kraft tretenden Änderungen können bei dem Teil der Bevölkerung hilfreich sein, bei dem nur Bequemlichkeit oder echter Mangel an Informationen die Ursache dafür ist, dass sie keinen Organspendeausweis unterschreiben. Für den größeren Teil reichen keine bunten Flyer in allen Sprachen und die Aushändigung von Ausweisen an Behörden. Es gibt viele Bemühungen der “Werbung”, bis hin zur Selbstgestaltung eines Spendeausweises.  All dies allein kann aber nicht zu dem führen, was gewollt ist: bewusste Entscheidung. Dazu muss sich Jeder über seine Auffassung von Leben und Tod wirklich klarwerden und dann den “Hirntod” als seinen eigenen Tod akzeptieren  – oder eben nicht! Es bleibt zu hoffen, dass durch die geplante stärkere Einbindung der Hausärzte mehr qualifizierte Information geleistet und mehr Nachdenken angestoßen wird. Hier könnten auch die Wissenschaftsjournalisten einen wichtigen Teil leisten. Und dann kann man nur hoffen, dass sich Viele entscheiden zu spenden, was aber SCHENKEN heisst, nicht: einer Bürgerpflicht nachkommen!

 

Literaturtipps

Aristoteles: Über die Seele

Maio Giovanni: Medizin ohne Maß

Moskopp Dag: Hirntod, Konzept-Kommunikation-Verantwortung.

Probst Stephan M.: Hirntod und Organspende aus interkultureller Sicht

Ferner:

https://dso.de/organspende/fachinformationen/organspendeprozess/leitfaden-für-die-organspende

https://www.drze.de/im-blickpunkt/organtransplantation/ethische-aspekte

https://www.bzga.de/infomaterialien/organspende/

 

Dank für Bild von Shameer Pk auf Pixabay

 

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