Inhalte: Chimären

Möglichkeiten des Organersatzes – nicht nur “Totenspende”

Während es im vorigen Beitrag um die “Totenspende” ging, habe ich heute weitere Möglichkeiten des Organersatzes zusammengestellt. Da gibt es sehr viel Neues, was Hoffnung macht, aber auch viele neue Probleme. Und das Fazit ist: noch hilft uns am meisten die “Totenspende”.

Organersatz durch Lebendspende

Man braucht nur eine Niere und hat zwei. Zumindest bei diesem Organ scheint also logisch: wenn alle, die nach medizinischen Gesichtspunkten für eine Spende in Frage kommen, eine Niere geben würden, bestünde kein Mangel mehr. In Deutschland sind zur Zeit mehr als 80 000 Patienten mit Niereninsuffizienz von der Dialyse (Blutwäsche ) abhängig; ihre Lebenserwartung, Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit ist je nach Alter und Grunderkrankung stark eingeschränkt. Warum ist die Lebendspende so relativ selten? Schaut man auf die Weltkarte, so gibt es, so weit überhaupt registriert, große Unterschiede; das hängt teilweise damit zusammen, dass Spender bezahlt werden. Eine solche Form von “Organhandel” aber ist in Deutschland verboten, und das ist wohl gut so. Außer den medizinischen Kriterien sind also viele rechtliche Vorgaben zu bedenken und praktisch ist in Deutschland eine Spende für Menschen, die nicht in einer besonderen Beziehung zum Spender stehen, ausgeschlossen. Die Vorgaben gelten ebenso für Teiltransplantationen, zB der Leber. Öffentlich bekannt in Deutschland wurde die Nierenspende des damaligen (2010) SPD-Vorsitzenden und jetzigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier für seine Ehefrau.

Organersatz durch Produktion:

1. Gewebezüchtung

Schon seit 100 Jahren werden Gewebetransplantationen vorgenommen, besonders der Augenhornhaut, in steigendem Maße auch von Blutgefäßen und Herzklappen, ebenso von der in der Verbrennungsmedizin sehr wichtigen Haut. Man kann natürliche Gewebe benutzen oder solche, die künstlich hergestellt wurden. Die Technik verfeinert sich laufend. Bei diesem “Tissue Engineering” wird biologisches Gewebe durch Zellkultivierung hergestellt. Es werden einem Menschen Zellen entnommen und auf Gerüsten kultiviert. Da das Gewebe von Menschen stammt, gibt es kein Problem mit Abstossungsreaktionen. Dabei liegt besondere  Hoffnung auf den Stammzellen, aus denen sich noch jedes Gewebe entwickeln kann; die Frage ist, wie man diesen Differenzierungsprozess steuern kann, um am Ende ein bestimmtes Gewebe entstehen zu lassen. Weiterhin wird geforscht an der Erzeugung völlig künstlicher Gewebe, wo also nicht menschliche Zellen, sondern künstliche Materialien benutzt werden. Auch hier gibt es schon Erfolge bei “einfacheren” Geweben, die nicht aus vielen verschiedenen Zellarten bestehen, wie z.B. Knorpel. Auch hier aber ist eine Transplantation von auf diesem Wege hergestellten Organen zur Zeit noch Zukunftsmusik.

2.  Organe aus dem 3 D – Drucker

Die Erforschung des Biodrucks ist über 50 Jahre alt; heute handelt es sich um einen wachsenden Markt. Es werden Biomaterialien, Zellen, benutzt, die dann in Schichten ausgedruckt werden, wobei eine Computersoftware zunächst eine dreidimensionale Vorlage erstellt hat. Das ist heute möglich für Gewebe mit einer einfachen Zellstruktur; so wurden Knorpel, Knochen und Hautgewebe bereits gedruckt und auch an Tiermodellen angewandt. Ein Organ wie die Niere allerdings besteht nicht nur aus einem Zelltyp. Das zweite bisher nicht gelöste Problem ist die Größe der Organe. Vor wenigen Jahren wurde bereits ein so komplexes Organ wie das Herz gedruckt, mit Klappen, Blutgefäßen usw, allerdings in der Größe etwa einer Kirsche. Weiterhin ist noch Vieles unbekannt: welche Stammzellen genau und wieviele werden gebraucht, um dann das gewünschte Gewebe entstehen zu lassen? Auch ist nicht bekannt, wie lange die Funktionalität eines solchen gedruckten Organs gesichert wäre.

Bei diesen Methoden sind große Erfolge zu verzeichnen; auch besteht eine realistische Hoffnung auf Lösung von noch bestehenden technischen Problemen in den nächsten  Jahren. Allerdings sollten wir uns inzwischen mit den neu aufgetauchten Fragen beschäftigen: was würde das Ideal einer personalisierten Transplantationsmedizin kosten? Würde sie für alle zugänglich sein können? Und schließlich: wo liegt ein Missbrauchspotential, z.B. wenn Technik vermehrt für Enhancement angewandt wird? Man denke an speziell konstruierte Organen für Hochleistungssportler sowie an militärische Anwendungen!

Organersatz durch Tierorgane

Der Gedanke, Tierorgane heranzuziehen ist alt. 1925 schrieb M.Bulgakow den Roman “Hundeherz”, zwar eine politische Metapher, in der aber das Problem der Identität eines Mischwesens antizipiert wurde. Praktisch scheiterten solche Transplantationen, weil der Organismus das als fremd empfundene Organ nach zunächst erfolgreicher Transplantation abstößt. Somit wurden immer mehr Versuche unternommen, Tiere dahingehend “anzupassen” dass sie mit dem fremden, menschlichen Organismus kompatibel sind. 2019 wurden z.B. Schweineherzen in Paviane implantiert, und vor wenigen Tagen kam die Nachricht der ersten Transplantation eines Schweineherzens in einen Menschen. Warum Schweine? Sie sind dem Menschen sehr ähnlich!

Genetische Veränderung der Tiere

Für derartige Transplantationen ist eine genetische Veränderung nötig. Im “einfachsten” Fall  verändert man die Fähigkeit des Tieres, Stoffe zu produzieren, die für Abstoßungen verantwortlich sind. Inzwischen gibt es aber auch schon die Methode, menschliche Organe im Tier zu züchten, indem menschliche Stammzellen in Tier-Embryonen eingepflanzt werden, sodass ein Mischwesen (Chimäre) entsteht. Probleme damit gelöst? Natürlich nicht. Auch hier werden die technischen Hindernisse immer mehr beseitigt werden, aber neben den biotechnischen und medizinischen Fragen wirft die Chimären – Erzeugung so wie auch die Xenotransplantation (Fremdübertragung) an sich philosophisch – ethische, rechtliche, psycho – soziale und politische Fragen auf. Dabei steht im Vordergrund die Frage nach dem “moralischen Status” eines so entstandenen Wesens: ist dieses nun ein Tier oder ein Mensch? Gilt dann das für Menschen gemachte Recht oder das Tierschutzgesetz? Das Letzte unterscheidet Tiere mit Wirbeln von anderen ohne solche, nicht wegen der Wirbel, sondern weil nach bisherigen Kenntnisse diese mehr Angst und Schmerz empfinden können. Hier entstehen völlig neue und sehr komplizierte Fragestellungen; das einzig Klare dabei ist bisher: je näher die Tiere dem Menschen kommen, (am Ende stehen die Affen aufgrund ihrer Ebenbildlichkeit), desto schwieriger werden die Antworten.

Ist ein Tier nur ein Ding?

Bezüglich der Benutzung von Tieren sind die wesentlichen Fragen, die Antworten dringend brauchen:

  • Ist es generell in Ordnung, Leben zu vernichten, um Leben zu schenken? Ist ein lebendes Wesen nur eine Art Behälter für Organe?
  • Sind Tiere Dinge, über die wir einfach nach unseren jeweiligen Bedürfnissen verfügen dürfen, bis hin zu einer Veränderung ihrer genetischen Substanz?
  • Wo muss die Grenze bei Chimärenerzeugung gezogen werden? Was bedeutet es für uns, wenn wir die Grenze Mensch – Tier einreißen?  (Die Vorstellung, dass sich menschliche Stammzellen im Tier zu Gehirnzellen entwickeln und die Frage, ob das entstehende Mischwesen dann ein menschliches Bewusstsein hätte, sind im Augenblick noch mehr der Science Fiction zuzuordnen, erscheinen am Horizont aber durchaus realistisch)

Kann die Philosophie antworten?

Im Anschluss an die Frage, ob man Tiere einfach so benutzen darf, tauchen weitere auf: das Schwein wird nach der Organentnahme eingeschläfert. Darf man das, und was heißt das, wenn es als Methode weitestgehend eingeführt würde? Wäre es dann sinnvoll, immer beide Nieren zu entnehmen für zwei Spenden? Was ist mit Organen, die nicht paarig sind? Welche Alternativen gäbe es für das Tier? Natürlich taucht hier dann auch die Frage auf, wieviel Schweine denn jährlich geschlachtet würden zur Nahrungserzeugung für Menschen!

Die Philosophin Christine Korsgard aus Harvard folgt Kant mit seinem Grundsatz der Selbstzweckhaftigkeit und verneint die Frage, ob Tiere eine Sache sind. Sie hätten, wie auch der Mensch, einen Sinn in sich selbst, existierten also für sich und nicht für Andere, und deshalb müsse ihre Würde respektiert werden. So wie: “Women don’t exist to make homes for men; people of color don’t exist to provide cheap labor for white people; animals don’t exist to provide food, labor, and organs for people”. Das zitiert der Journalist Dylan Mattews aus einer Korrespondenz mit der Philosophin.

Demgegenüber sagt der Philosoph Peter Singer, ein Vertreter des Utilitarismus, – der Richtung also, die den Nutzen für die größtmögliche Zahl von Menschen als Hauptkriterium anlegt- : er halte die Tötung des Tieres nach der Organentnahme nicht für unethisch, aber dafür müsse dem Schwein als Minimum ein artgerechtes Aufwachsen gegeben werden, also schon die Eltern des Tieres dürften nicht in Farmen mit Boxen gehalten werden, sondern müssten sich in natürlicher Umwelt aufhalten können.

Fazit

Wenn wir die gewünschte “Regenerative Medizin” weiter ausbauen wollen, gibt es schon einige Alternativen. Am erstrebenswertesten wäre, wenn wir rasch bessere Gewebe und ganze Organe herstellen könnten. Allerdings wird das, bis es auf breiter Ebene angewendet werden kann, noch viele Jahre brauchen. Also bleiben als Möglichkeiten des Organersatzes bis dahin nur: mehr Totenspenden, mehr Lebendspenden, oder doch mehr Tierspenden mit genetischer Veränderung, wenn wir das Problem der Organbedürftigen lösen wollen, die sonst sterben, aber mit einem neuen Organ noch lange und gut leben könnten.

Vielleicht ist der Jahresanfang als Zeit der guten Vorsätze also geeignet, jetzt einen Organspendeausweis auszufüllen?

 Literaturtipps

Danke fürBild von Heidi Bohez auf Pixabay

Mensch oder Tier? Beides?

Visionäre Welt in  Bildern! Im Flur meiner Wohnung hängen zwei Drucke aus den Collagen von Max Ernst. Vogelköpfe sind da auf Menschenkörper montiert, so entstanden Fantasiewesen. Nicht zum ersten Mal in der Geschichte, man denke an Sphinx und Kentauren, aber im Surrealismus mit dem erklärten Ziel, unbewusste Triebe des Menschen darzustellen.

Schon vor etwa einem Jahrhundert schuf das Genie Max Ernst visionäre Bildwelten mit seiner neuen Collagetechnik. Die Technik selbst ist ein intellektuelles Verfahren; es geht nicht hervor aus einem spontanen Geniestreich, sondern wird gezielt eingesetzt: Bildmaterial wird transformiert, um eine Mehrdeutigkeit zu erzeugen, den Betrachter eher zum Nachdenken anzuregen als zur Bewunderung.

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