Mensch oder Tier? Beides?

Mensch oder Tier

Visionäre Welt in  Bildern! Im Flur meiner Wohnung hängen zwei Drucke aus den Collagen von Max Ernst. Vogelköpfe sind da auf Menschenkörper montiert, so entstanden Fantasiewesen. Nicht zum ersten Mal in der Geschichte, man denke an Sphinx und Kentauren, aber im Surrealismus mit dem erklärten Ziel, unbewusste Triebe des Menschen darzustellen.

Schon vor etwa einem Jahrhundert schuf das Genie Max Ernst visionäre Bildwelten mit seiner neuen Collagetechnik. Die Technik selbst ist ein intellektuelles Verfahren; es geht nicht hervor aus einem spontanen Geniestreich, sondern wird gezielt eingesetzt: Bildmaterial wird transformiert, um eine Mehrdeutigkeit zu erzeugen, den Betrachter eher zum Nachdenken anzuregen als zur Bewunderung.

Als ich vor ein paar Tagen die Nachricht las: „Menschliche Mini-Gehirne in Tiergehirne verpflanzt“*, da stand ich wieder nachdenkend vor diesen Bildern. Was hatten Wissenschaftler in Kalifornien getan? Sie hatten menschliche „zerebrale Organoide“ aus Stammzellen im Labor gezüchtet, (die besser als alle bisher bekannten waren) und diese „Mini-Gehirne“ dann in Gehirne von Ratten und Mäusen transplantiert.

Was ist eigentlich ein Mensch, was ein Tier?

Unser Selbstverständnis verlangt nach klaren Grenzziehungen. Nachdem die einfache biologische Grenze der „Arten“ ins Wanken geraten ist (Mensch und Schimpanse z. B. teilen über 98 % ihres Erbmaterials) suchen wir andere Kriterien, auch einfache Richtlinien, zum Beispiel in unserer Gesetzgebung. Leider gibt es in der Verfassung keinerlei Hinweise, die uns weiterhelfen. Da steht lediglich, dass nur „Menschen“ unsere Grundrechte besitzen (und nicht „Menschen und menschenähliche Wesen“). Daneben gibt es Tier-Rechte, ein ganz anderes Kapitel. Wir kommen so nicht weiter und versuchen es mit der Philosophie, gehen zurück auf die zentrale Bedeutung unseres Selbstverständnisses, (Mensch als Zweck in sich selbst, der daher niemals als Mittel zu einem Zweck benutzt werden darf); wir zitieren unseren „moralischen Status“, führen unsere kognitiven und emotionalen Fähigkeiten in die Diskussion ein – aber es scheint so zu sein, dass Menschenaffen nicht nur soziale Organisationen haben, sondern auch über Selbstkonzepte verfügen, dass sie in die Zukunft hinein denken können und im Ganzen „kulturfähig“ sind; es mehren sich jedenfalls laufend Erkenntnisse, durch die das Konzept der Sonderstellung des Menschen stark ins Schwanken gerät. Das führte zu Beispiel dazu, dass vor einem Jahr in Argentinien einer Schimpansin durch Gerichtsbeschluss der Status eines Rechts- Subjekts zugesprochen wurde. Im Deutschen Bundestag wurde zwar 2015 ein Antrag auf Gesetzesänderungen abgelehnt, die den großen Menschenaffen besondere Rechte zusprechen und damit Versuche an dieser Spezies verbieten würden, ein neuer Antrag wird aber dieses Jahr erwartet.

Mensch – Tier – Mischwesen

Seit langem gibt es in der Biologie Verfahren, die Gewebe verschiedener Arten mischen. Dabei entstehen die sogenannten Chimären (Organismen aus genetisch unterschiedlichen Bausteinen) oder Hybride (Organismen, die aus der Verschmelzung von Ei und Samenzelle entstehen). Zum „ Chimären“-Komplex würde also schon die Transplantation eines Organs gehören, zu den Hybriden eigentlich jeder „natürlich gezeugte“ Mensch – allerdings wird der Begriff meist angewandt auf Fälle, wo Ei und Samenzelle von verschiedenen Arten stammen, wie z. B. beim Maultier, einem Hybrid aus Esel und Pferd. Das klingt einfach. Inzwischen aber gibt es Methoden von Gen- und Chromosomenübertragungen und viele neuere Verfahren, die Mischwesen erzeugen können. In der Forschung ist die Erzeugung „transgener Tiere“ schon seit Langem üblich, um an diesen Wesen Experimente durchzuführen, die am Menschen nicht möglich oder nicht erlaubt wären.

Unser Selbst im Gehirn?

Das Gehirn nimmt die zentrale Stellung ein bei unserer Verortung als Mensch. Hier lokalisieren wir unser Bewusstsein. Wie steht es jetzt mit Mischwesen, die durch Verpflanzung menschlichen Hirngewebes auf Tiere entstanden sind? Die Frage, die uns umtreibt, ist: entstehen durch die Übertragung von menschlichem Hirngewebe menschliche Fähigkeiten in dem Mischwesen? Und: hätte dieses Wesen dann einen anderen moralischen Status und Rechte, die nicht nur den Tier-Rechten entsprechen?

Der Deutsche Ethikrat hat schon 2011 zu Mensch – Tier – Mischwesen in der Forschung Stellung genommen und dabei auf die Wichtigkeit des Zeitpunkts der Übertragung hingewiesen, vor allem aber differenziert zwischen Fällen, wo Mensch-Tier-Hirnchimären bei vom Menschen weit entfernten Säugetierarten, (wie z. B. Mäusen und Ratten) hergestellt würden, und solchen, wo die Erzeugung bei nahen Verwandten des Menschen (Primaten) erfolgen würde. Der Ethikrat empfahl weiterhin, eine Grenze bei den Menschaffen zu ziehen – freiwilliger gänzlicher Verzicht auf die Einfügung hirnspezifischer menschlicher Zellen in das Gehirn von Menschenaffen.

Freiwillig? Weder wird die weltweit verflochtene Technik plötzlich einhalten noch wird der menschliche Forscherdrang einfach aufhören zu suchen, am wenigsten wird sich ein vielversprechender neu eröffneter „Markt“ von selbst wieder schließen und auf “Vermarktung” verzichten. Der Gesetzgeber wird Grenzen festschreiben müssen. Allerdings – vorher sollte der breite gesellschaftliche Diskurs erfolgen. Wissen wir wirklich, was wir eigentlich wollen? Wir – die „Menschen“ in unserem bisherigen einfachen „natürlichen“ Verständnis, die immer mehr herausgefordert werden, sich selbst zu definieren?

 

* https://www.heise.de/tp/features/Menschliche-Mini-Gehirne-in-Tiergehirne-verpflanzt-3886910.html

 

Literaturtipp:

Deutscher Ethikrat:  Mensch – Tier – Mischwesen in der Forschung

F. Schmitz: Tierethik: kurz+verständlich

U. Wolf (Hrsg): Texte zur Tierethik

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